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Ehrismann, Gustav; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 8. Abhandlung): Studien über Rudolf von Ems: Beiträge zur Geschichte d. Rhetorik u. Ethik im Mittelalter — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37685#0004
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4

Gustav Ehrismann:

Begriff Kunst jedenfalls eine stark gelehrte Beimischung1. Aber
in der Poetik, die er in den Prologen zum Alexander niedergelegt
hat, ist Kunst doch im wesentlichen als „Dichtkunst“, poesis,
poetria, aufgefaßt. Die Prologe der mittelhochdeutschen Dich-
tungen haben, soweit sie weltlichen Inhaltes sind, die sie bestim-
menden Motive aus der Rhetorik gezogen2. Über das Wesen
der Dichtkunst jedoch und deren Grundbedingungen werden
zunächst nur gelegentlich vereinzelte Äußerungen getan, auf eine
umfassendere Theorie ist es nirgends abgesehen. Gotfrid hat
in der literarischen Stelle seines Tristan sein persönliches Urteil
über einzelne hervorragende Meister niedergelegt mit einer un-
vergleichlich treffsicheren Charakterisierungskunst und mit feinster
Kenntnis der rhetorischen Mittel, Wolfram hat zu einer Grund-
frage prinzipiell Stellung genommen3, Rudolf aber hat eine Reihe
von einzelnen Hauptpunkten der Rhetorik in seinen Einleitungen
zum Alexander verarbeitet, aus denen sich, wenn man sie aus der
poetisch stilisierten Einkleidung loslöst, ein einheitliches System
aufstellen läßt. Eine derartige Kenntnis des Gegenstandes, wie
sie Rudolf besitzt, kann nur auf einem Studium (arbeit4, Rud.
1 Als „lernbare“ Kunst, eine Wissenschaft, wird im Altertum die Rhetorik
wie jede Ars aufgefaßt, vgl. u. a. Quintilian II, 14, 5: Rhetorice . . ars erit,
quae disciplina percipi debet: ea est bene dicendi scientia. Für die mhd. Auf-
fassung s. Hildebrand a. a. O., Roethe S. 187f., Plenio, Beitr. 42, 427ff.
2 Über diese s. Richard Ritter, Die Einleitungen der altdeutschen
Epen, Bonner Diss., 1908.
3 Willeh. 2, 19—22.
4 Stark betont Rudolf den Begriff „Arbeit“ (vgl. Ztschr. f. d. A. 56,
183—185). Zunächst versteht er darunter die Arbeit an seinen dichterischen
Werken. Die künstlerische Arbeit ist für ihn eine Lebensaufgabe. In diesem
höheren Sinne erfüllt der Dichter eine von der sittlichen Anschauung der
Zeit gebotene Pflicht, nämlich die, seine ihm von Gott verliehenen Gaben
zu verwerten, bezw. nach biblischem Gebot, „seinen Schatz nicht zu vergraben“
(Sapientia obsconsa et thesaurus invisus, quae utilitas in utrisque? Matth.
5, 16. 25, 18. 28). Dieses in der mittelalterlichen Literatur immer wieder-
kehrende Gebot der Kirche ist zum weltlichen Sprichwort geworden, vgl.
Begraben schätz, verborgen sin, deist vertust äne gewin Freidank 147, 8f. In
mhd. Prologen wird dieses Motiv gerne angebracht (vgl. Ritter, Die Ein-
leitungen der ad. Epen S. 75, dazu bes. auch Krone 11 f. und Bezzenberger
in den Anmerkungen zu seiner Ausgabe des Freidank S. 438f.; Roethe,
Reimvorreden des Sachsenspiegels, bes. S. 104—-107). Hugo v. S. Victor
hat die Mahnung, sein Pfund nicht zu vergraben, in sein Lehrbuch vom
Unterricht des Wissens aufgenommen: Eruditio didasc. III Kap. 8, Migne 176,
771). Das Versäumnis der geistigen Arbeit zum Guten ist das Laster der
Negligentia, die Vernachlässigung der geistlichen Pflichten, Gleichgültigkeit
 
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