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Ehrismann, Gustav; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 8. Abhandlung): Studien über Rudolf von Ems: Beiträge zur Geschichte d. Rhetorik u. Ethik im Mittelalter — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37685#0079
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Studien über Rudolf von Ems.

79

C. Die Zeitfolge der Werke Rudolfs.
Das Problem der zeitlichen Reihenfolge von Rudolfs Werken
verdichtet sich zu dem Verhältnis des Alexander zum Willehalm.
Darüber haben zuletzt gehandelt Junk, Beitr. 29, 445ff. 460,
Leitzmann, Ztschr. f. d. Phil. 43, 310f., Eberh. Kurt Busse,
Ulrich v. Türheim, Palaestra GXXI, bes. S. 36—42.
Für wissenschaftliche Untersuchungen über den Alexander
stehen vorerst nur die von Junk herausgegebenen Teile, also haupt-
sächlich nur die Prologe zur Verfügung. Ein endgültiges Ergebnis
kann aber nur durch Beobachtung des gesamten Versmaterials
erzielt werden. Doch gewähren auch schon die bis jetzt aus dem
Alexander veröffentlichten Abschnitte aufhellende Gesichtspunkte
für die Frage nach dem zeitlichen Verhältnis dieses Gedichtes zum
Willehalm. Bei einer gegenseitigen Abwägung der beiden Werke
ist auszugehen von ihrem Grundcharakter: der Alexander ist eine
Gedankendichtung, in der die höchsten Probleme der Zeit be-
handelt werden: die Sselde als stärkste irdische Macht, doch unter-
stellt der Allmacht Gottes, und ihr Held für das Mittelalter
ein weltgeschichtliches Vorbild; der Willehalm dagegen ist
nur ein weltlicher Minneroman. Das mittelalterliche Wissenschafts-
system aber trennt streng zwischen scientia divina und scien-
tia saecularis (Gonradus Hirs. S. 20f.).
Wie sehr ihm gerade der Alexander am Herzen lag und
wie viel Zeit, Mühe und Fleiß er auf die Erlangung der rich-
tigen Quelle verwendet hat, hebt Rudolf selbst hervor (62 ff.
8040ff. 12965ff. 13053ff.), und in diesem Werke sein Bestes zu
geben mußte ihm auch deshalb angelegen sein, weil er mit ihm
mit gelehrten Vorgängern in Wettbewerb trat (15767ff.). Darum
sind auch die Prologe des Alexander wissenschaftlich und künst-
lerisch wohl durchdacht: in ihnen hat Rudolf die höchsten Lei-
stungen seiner Poesie dargeboten, während er auf die Prologe im
Willehalm keine besondere Sorgfalt verwendete. Jene sind stili-
stische und zum Teil auch metrische Kunstwerke, diese sind inhalt-
lich und formal Durchschnittsarbeit und bewegen sich in steten
Wiederholungen. Die Grundfrage bei der Bestimmung der Zeit-
folge wird demnach lauten: hat Rudolf seinen Gedanken zuerst
eine geringwertigere Fassung gegeben (Willehalm) und hat diese
dann später (Alexander), gleichsam als einen ersten Entwurf, in
eine höhere innere und äußere Form gebracht, oder hat er die
 
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