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Ehrismann, Gustav; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 8. Abhandlung): Studien über Rudolf von Ems: Beiträge zur Geschichte d. Rhetorik u. Ethik im Mittelalter — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37685#0080
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80

Gustav Ehrismann:

ursprünglich feinere Arbeit (Alexander) später (Willehalm) ver-
gröbert ? Die künstlerische Entwicklung Rudolfs spricht dafür,
daß das vollkommenere Werk dem rascher hingeworfenen voran-
geht, denn sie bewegt sich in absteigender Richtung1. Seine
ersten Werke, der gute Gerhard und der Barlaam, sind mit
größter Kunst ausgeführt, sein letztes, die Weltchronik, hat einen
andern, einen nachlässigeren Stil. Es wäre eine schwer begreifliche
Störung der Entwicklungsreihe, wenn der oberflächlicher gear-
beitete Willehalm vor dem Alexander abgefaßt wäre, wenn der
Dichter sich zuerst hohe künstlerische Ziele gesteckt hätte (g. Ger-
hard, Barlaam), dann gegen dieselben gleichgültig geworden wäre
(Willehalm), im Alexander wieder einen Aufstieg genommen hätte,
um dann in der Weltchronik wieder zurückzusinken. Aber, kann
man dagegen einwenden, die Wahl der Kunstform steht im Be-
lieben des Dichters, er wird diejenige bevorzugen, welche er für
das betreffende Werk oder überhaupt-für den betreffenden Zweck
für geeignet hält, darum kann der Wechsel in der Formgebung
nichts beweisen, denn Rudolf hätte auch nach dem leichter wie-
genden weltlichen Willehalm-Roman doch der tieferen Alexander-
dichtung eine ausdrucksvollere Form verleihen können. Diese Voraus-
setzung trifft hier nicht zu. Im Gegenteil spricht tatsächlich für
einen Rückgang in der künstlerischen Sorgfalt Rudolfs schon der
Alexander selbst, denn nach Junk läßt „die frische Natürlichkeit
des ersten Buches sehr bald nach und dieses Abnehmen der dich-
terischen Kraft spiegelt sich äußerlich in einem Aufgeben der von
Rudolf anfangs gewählten Kunstmittel wider“ (S. 462 u. 465f.),
und die Weltchronik, die doch die bedeutendste Idee, das Walten
Gottes in der Weltgeschichte, verfolgt, sie ist in dem gleichen nach-
lässigeren Stile abgefaßt wie der Willehalm2 * *.
Der Rückgang von Rudolfs Kunst läßt sich aus der
Art seiner Tätigkeit begreifen: die gesteigerten Anforderungen
an seine Arbeitsleistung (Willehalm, Weltchronik) ließen ihn das
hohe Ziel, das er sich früher gesteckt hatte (vgl. sich bezzern, seine
1 Gervinus, Gesch. d. d. National-Literatur 25, 72; Vogt, PaulsGrundr.
22, 218; Baechtold, Gesch. d. d. Literatur in der Schweiz, S. 97; Ecw.
Schröder, Beitr. 29, 197; Busse S. 2; v. Kraus, Ztschr. f. d. A. 56, 48.
2 Wenn Rudolf im Dichterkatalog des Willehalm nur „eine dürre Liste
von Dichternamen und Werken“ usw. gibt (Leitzmann S. 310), so beruht
dies auf der Formensprache des ganzen Gedichtes. Der Stil des Dichter-
verzeichnisses entspricht genau dem der übrigen Prologe und kann nur unter
Berücksichtigung jener anderen richtig beurteilt werden.
 
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