Studien über Rudolf von Ems.
13
Natur Gott setzen, denn Gottes Güte ist die Ursache aller guten
Dinge. Der heilige Geist ist es, der in dem Verkündiger von Gottes
Wort redet, nach Matth. 10, 20: non enim vos estis qui loquimini,
sed Spiritus Patris vestri, qui loquitur in vobis (Augustinus, De
doctrina Christ. IV, 15, darnach Hrabanus Maurus, De clericorum
inst. III, 39, Migne 107, 418D)1. Daß die Kunst von Gott kommt,
das ist ein Gemeinplatz der lehrhaften mhd. Spruchdichter.
Gott gibt den sin: diesen Grundgedanken der Verse 2, 15—25
in der Einleitung zum Willehalm schöpft auch Wolfram aus der
geistlichen Rhetorik: „Dein Geist (der heilige Geist, der die Weis-
heit und Wissenschaft verleiht und einem Autor sein Werk eingibt),
hat (jeweils) seine Kraft da gespendet, wo ein Schriftwerk in Sprache
und Text recht abgefaßt war (jedes rechte Schriftwerk ist immer
durch die Hilfe des heiligen Geistes zustande gekommen). Auch
mein Sinn (mein dichterischer Genius) verspürt deine Kraft. Nicht
aus Büchern habe ich gelernt, sondern die dichterische Veranlagung
hat mir meine Kunst gegeben. Deine Güte sende mir wahrhaftigen
(aufrichtigen) und verständigen sin (dichterische Fähigkeit, das
künstlerische ingenium) ins Herz.“2 Ebenfalls durch die Kunst-
lehre der Zeit ist Wolframs Versicherung veranlaßt, er habe nicht
aus Büchern gelernt (er sei ohne Studium): er tritt hiermit in
selbstbewußten Gegensatz zu der Theorie, daß der Dichter ver-
möge des Studiums, der doctrina, imitatio, der arbeite sein Werk
zustande bringen solle.
b) Grundbedingungen zum künstlerischen Schaffen:
die sselde (Erfolg), zugleich das vom Dichter erstrebte Gut (sselde
und ere).
Die rhetorischen Ausführungen stehen in diesen theoretischen
Erörterungen der Prologe auf ethischer Grundlage3. Der Dichter
lebt in der Anschauungswelt der ritterlichen Gesellschaft. Sselde
ist der Inbegriff alles irdischen Glücks, sie umfaßt 1. die Tugen-
1 Der heilige Geist verleiht die Gabe der Dichtkunst; Weisheit und
Wissenschaft sind zwei der sieben Gaben des heil. Geistes. Daher wird der
heil. Geist oft auch in den mhd. Prologen angerufen, z. B. Wolfr. Willeh. 2,
23—-25 (vgl. Singer, Wolframs Willehalm, S. 1 f.), Rud. Barl. 4, 3—11; vgl.
Ritter S. 9ff. —- Die Sselde verleiht kunsl in Hartmanns Gregorius 1235 ff.,
im Grunde genommen ist aber doch Gott der Urheber 1263.
2 Burdach, Reinmar S. 31 f.
3 Wolframs Ausspruch hän ich kunst die git mir sin wurde nachgeahmt
von Reinmar von Zweter; vgl. Roethe, Reinmar S. 192.
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Natur Gott setzen, denn Gottes Güte ist die Ursache aller guten
Dinge. Der heilige Geist ist es, der in dem Verkündiger von Gottes
Wort redet, nach Matth. 10, 20: non enim vos estis qui loquimini,
sed Spiritus Patris vestri, qui loquitur in vobis (Augustinus, De
doctrina Christ. IV, 15, darnach Hrabanus Maurus, De clericorum
inst. III, 39, Migne 107, 418D)1. Daß die Kunst von Gott kommt,
das ist ein Gemeinplatz der lehrhaften mhd. Spruchdichter.
Gott gibt den sin: diesen Grundgedanken der Verse 2, 15—25
in der Einleitung zum Willehalm schöpft auch Wolfram aus der
geistlichen Rhetorik: „Dein Geist (der heilige Geist, der die Weis-
heit und Wissenschaft verleiht und einem Autor sein Werk eingibt),
hat (jeweils) seine Kraft da gespendet, wo ein Schriftwerk in Sprache
und Text recht abgefaßt war (jedes rechte Schriftwerk ist immer
durch die Hilfe des heiligen Geistes zustande gekommen). Auch
mein Sinn (mein dichterischer Genius) verspürt deine Kraft. Nicht
aus Büchern habe ich gelernt, sondern die dichterische Veranlagung
hat mir meine Kunst gegeben. Deine Güte sende mir wahrhaftigen
(aufrichtigen) und verständigen sin (dichterische Fähigkeit, das
künstlerische ingenium) ins Herz.“2 Ebenfalls durch die Kunst-
lehre der Zeit ist Wolframs Versicherung veranlaßt, er habe nicht
aus Büchern gelernt (er sei ohne Studium): er tritt hiermit in
selbstbewußten Gegensatz zu der Theorie, daß der Dichter ver-
möge des Studiums, der doctrina, imitatio, der arbeite sein Werk
zustande bringen solle.
b) Grundbedingungen zum künstlerischen Schaffen:
die sselde (Erfolg), zugleich das vom Dichter erstrebte Gut (sselde
und ere).
Die rhetorischen Ausführungen stehen in diesen theoretischen
Erörterungen der Prologe auf ethischer Grundlage3. Der Dichter
lebt in der Anschauungswelt der ritterlichen Gesellschaft. Sselde
ist der Inbegriff alles irdischen Glücks, sie umfaßt 1. die Tugen-
1 Der heilige Geist verleiht die Gabe der Dichtkunst; Weisheit und
Wissenschaft sind zwei der sieben Gaben des heil. Geistes. Daher wird der
heil. Geist oft auch in den mhd. Prologen angerufen, z. B. Wolfr. Willeh. 2,
23—-25 (vgl. Singer, Wolframs Willehalm, S. 1 f.), Rud. Barl. 4, 3—11; vgl.
Ritter S. 9ff. —- Die Sselde verleiht kunsl in Hartmanns Gregorius 1235 ff.,
im Grunde genommen ist aber doch Gott der Urheber 1263.
2 Burdach, Reinmar S. 31 f.
3 Wolframs Ausspruch hän ich kunst die git mir sin wurde nachgeahmt
von Reinmar von Zweter; vgl. Roethe, Reinmar S. 192.