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Ehrismann, Gustav; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 8. Abhandlung): Studien über Rudolf von Ems: Beiträge zur Geschichte d. Rhetorik u. Ethik im Mittelalter — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37685#0038
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38

Gustav Ehrismann:

Sie geht auf Cicero zurück, die Renaissancepoetik hat sie vom
klassischen Altertum wieder aufgenommen, uns ist sie historisch
wohl am bekanntesten aus Lessings Abhandlung von den Panto-
mimen der Alten und seiner Übersetzung des Riccoboni. Aber die
mittelalterlichen Vortragsregeln geben keinen klaren Einblick in
die wirklichen körperlichen Ausdrucksformen des Redners bezw.
Sprechenden. Wie sprach und wie gebärdet sich der Spielmann?
Hatte er noch etwas von dem Auftreten des heimischen Rapsoden,
des Skop, oder ist er ganz ein Schüler des römischen Mimus* 1 ?
Das Renehmen des höfischen Rezitators war jedenfalls, den
Anforderungen der Gesellschaft entsprechend, gehalten und maß-
voll. Schließlich hängen diese Bewegungsformen in Sprache und
Mimik von der Bildung des Vortragenden und seines Standes ab
und sind Auswirkungen der ethischen Gesamtlage der Zeit. In
einem Falle können wir aber doch aus unserer Gegenwart weiter-
gehende Rückschlüsse auf die mittelalterlichen Verhältnisse ziehen,
nämlich bei der geistlichen Beredsamkeit der katholischen Kirche.
Die Kirche hält traditionell fest an den geheiligten Gebräuchen
und den festgesetzten Formen, denn alles ist Symbolik und hat
den Zweck, eine höhere Idee in die äußere Erscheinung treten zu
lassen. Darum werden beim katholischen Priestertum auch die
Äußerungen des Temperamentes dem Wandel der Zeiten weniger
unterworfen gewesen sein, hier werden auch die Ausdrucksmittel der
Sprache in den Schallformen, in Rhythmik und Melodik
auch heute noch etwas von dem alten Charakter bewahrt haben und
bei Untersuchungen dieser Fragen könnte vielleicht eine Beobach-
tung der gegenwärtig in der katholischen Kirche üblichen Vortrags-
regeln Anhaltspunkte geben. Auch der gregorianische Kirchen-
gesang2, der sich ja bis ins frühe Mittelalter verfolgen läßt, könnte
über Aussprache, Rhythmus und Tonführung Aufschlüsse gewäh-
ren. Das Gründgesetz der Vortragsweise steht jedenfalls fest, es
ist das Maßhalten, die temperantia, keine übertrieben leidenschaft-
lichen Mienen und Gesten machen. Natürlich ist auch hierin ein
Honorius Augustodunensis, Migne 172, 861. 862; Galfrid de Vinesauf, Leyser
S. 866, 83—85. S. 974—976, 2024—-2059; für die Predigt Cruel S. 250 u. ö.,
Lecoy de la Marche S. 320ff., Surgant Buch I Consid. 21. Über die Ethopöie
s. Volkmann2 S. 281. 490; Isidor, Etymol. II, 14; Vincentius Bellovacensis,
Speculum doctrinale, Buch IV Kap. 128; Kuno Francke, Latein. Schul-
literatur, S. 25.
1 Vgl. Notker a. a. O.
2 Vgl. Saran, Der Rhythmus des französ. Verses, S. 37ff.
 
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