Studien über Rudolf von Ems.
67
Der Ursprung von Rudolfs ornamentalem Stil.
In der literarischen Stelle des zweiten Alexanderprologs
gibt Rudolf selbst seine und seiner Zeitgenossen künstlerische Stellung
an: er ist Nachahmer. Er nennt auch seine Muster, und durch
die Stärke der Huldigung läßt er erkennen, daß er vor allen andern
Gotfrid als sein Vorbild, neben ihm Wolfram und Hartmann
als die besten Meister der Kunst verehrt, denn die drei faßt er
zusammen als die drei kunstvollen Stämme der epischen Dichtung.
Ferner stellt er die Art der Epigonendichtung fest. Sie besteht
nicht in der Tiefe der Gedanken, sondern in der Manier der Sprache
3171—3186: elliu unser arbeit ist nü an wildiu wort gedigen usw.,
wir verwenden alle unsere Arbeit auf ungewohnte Ausdrücke, es
kommt uns auf den Worteffekt an, das heißt: in der übertriebenen
Anwendung des hohen Stils suchen wir die Kunst. Damit hat
Rudolf sein künstlerisches Prinzip treffend gekennzeichnet: es
besteht in der überladenen Ornamentierung. Die technischen
Mittel, die er dazu benutzt, sind die im vorhergehenden Para-
graphen angeführten Stilformen1.
Es ist nun die Frage zu erörtern: woher hat Rudolf
diese Ausdrucksmittel, oder was nahezu das gleiche besagt,
wie verhält sich sein Stil zu dem Gotfrids und Wolframs ?
Darauf kann die Antwort jetzt ganz bestimmt lauten: Rudolf
steht nicht etwa zwischen den Parteien, Gotfrid und Wolf-
ram, er hat auch seinen Stil nicht nur überwiegend arl Gotfrid
gebildet2, sondern er hat Gotfrid sich prinzipiell zum Vorbild ge-
nommen, er hat von ihm die ganze Struktur seiner Ornamentierung,
die Schmuckmittel, er hat von ihm seinen 'hohen’ Stil gelernt.
Wortwiederholung, Antithese, Alliteration, zweigliedrige Formeln,
Reimhäufung, die charakteristischen formalen Bestandteile hat er
ihm abgesehen, auch die Reihenbildung3 fand er bei ihm (Henrich
S. 248f.) und die Steigerung (vgl. dar unde dar und aber dar Trist.
853, sus unde so, her unde dar 1745, vil und alze vil 1851, dar treip
er vil und so vil an 2295, vgl. auch Henrich S. 250 Anm. 1).
Aber er hat diese Zierden der erhabenen Sprache gesteigert und
1 Andere, weniger hervortretende Stilfiguren Rudolfs s. bei Henrich.
Er ist nicht arm an stereotypen Wendungen, Wahrheitsbeteuerungen, Über-
gangsformeln u. dgl. Auch allgemeine Erfahrungssätze (Sentenzen) flicht er
zuweilen in die Erzählung ein.
2 Leitzmann, Ztschr. f. d. Phil. 43, 301.
3 Vgl. zu dieser Erscheinung Roethe, Reinmar 317ff.
5*
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Der Ursprung von Rudolfs ornamentalem Stil.
In der literarischen Stelle des zweiten Alexanderprologs
gibt Rudolf selbst seine und seiner Zeitgenossen künstlerische Stellung
an: er ist Nachahmer. Er nennt auch seine Muster, und durch
die Stärke der Huldigung läßt er erkennen, daß er vor allen andern
Gotfrid als sein Vorbild, neben ihm Wolfram und Hartmann
als die besten Meister der Kunst verehrt, denn die drei faßt er
zusammen als die drei kunstvollen Stämme der epischen Dichtung.
Ferner stellt er die Art der Epigonendichtung fest. Sie besteht
nicht in der Tiefe der Gedanken, sondern in der Manier der Sprache
3171—3186: elliu unser arbeit ist nü an wildiu wort gedigen usw.,
wir verwenden alle unsere Arbeit auf ungewohnte Ausdrücke, es
kommt uns auf den Worteffekt an, das heißt: in der übertriebenen
Anwendung des hohen Stils suchen wir die Kunst. Damit hat
Rudolf sein künstlerisches Prinzip treffend gekennzeichnet: es
besteht in der überladenen Ornamentierung. Die technischen
Mittel, die er dazu benutzt, sind die im vorhergehenden Para-
graphen angeführten Stilformen1.
Es ist nun die Frage zu erörtern: woher hat Rudolf
diese Ausdrucksmittel, oder was nahezu das gleiche besagt,
wie verhält sich sein Stil zu dem Gotfrids und Wolframs ?
Darauf kann die Antwort jetzt ganz bestimmt lauten: Rudolf
steht nicht etwa zwischen den Parteien, Gotfrid und Wolf-
ram, er hat auch seinen Stil nicht nur überwiegend arl Gotfrid
gebildet2, sondern er hat Gotfrid sich prinzipiell zum Vorbild ge-
nommen, er hat von ihm die ganze Struktur seiner Ornamentierung,
die Schmuckmittel, er hat von ihm seinen 'hohen’ Stil gelernt.
Wortwiederholung, Antithese, Alliteration, zweigliedrige Formeln,
Reimhäufung, die charakteristischen formalen Bestandteile hat er
ihm abgesehen, auch die Reihenbildung3 fand er bei ihm (Henrich
S. 248f.) und die Steigerung (vgl. dar unde dar und aber dar Trist.
853, sus unde so, her unde dar 1745, vil und alze vil 1851, dar treip
er vil und so vil an 2295, vgl. auch Henrich S. 250 Anm. 1).
Aber er hat diese Zierden der erhabenen Sprache gesteigert und
1 Andere, weniger hervortretende Stilfiguren Rudolfs s. bei Henrich.
Er ist nicht arm an stereotypen Wendungen, Wahrheitsbeteuerungen, Über-
gangsformeln u. dgl. Auch allgemeine Erfahrungssätze (Sentenzen) flicht er
zuweilen in die Erzählung ein.
2 Leitzmann, Ztschr. f. d. Phil. 43, 301.
3 Vgl. zu dieser Erscheinung Roethe, Reinmar 317ff.
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