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Gustav Ehrismann:
gehäuft, Gotfrids Stil hat der Epigone zur Manier übertrieben.
Aufgabe der Spezialforschung ist es, in exakter Methode durch
Vergleichung einzelner Stellen dieses Verfahren Rudolfs nachzu-
weisen und es sind auch schon Beiträge dazu geliefert worden1.
Gotfrids Tristan hat Rudolf die stilistische Kunstform gegeben,
die zierliche süeze Weise; er hat nichts gemein mit Wolframs
Dunkelheit, dem obskuren Ausdruck (in manege wis gebogen), von
ihm-hat er nur einzelne Vorstellungen und Ausdrücke und gewisse
technische Formeln übernommen, die die ästhetische Wirkung
seiner Sprache prinzipiell nicht beeinflussen, wenn sie auch gar
nicht selten sind. Die textlichen Ähnlichkeiten2 zwischen Rudolfs
und Wolframs Dichtungen zerfallen hinsichtlich ihrer Entstehung
im Bewußtsein des Autors in zwei Gruppen: Es sind 1. einmalige
Reminiszenzen: dem Dichter tritt bei der Ausarbeitung irgend
eines Gedankens auf dem Wege der Ideenassoziation die Vor-
stellung eines ähnlichen Vorganges in Wolframs Werken oder
das Erinnerungsbild eines für die sprachliche Fassung passenden
Ausdrucks ins Bewußtsein. Sie haben einen speziellen Inhalt,
z. B.: in der Weltchron. 13048ff. lagert sich das Heer in einzelnen
Abteilungen (ringe), da erinnert sich der Dichter eines ähnlichen
Falles in Wolframs Willehalm und damit des dazu gehörenden
Verses und sunder ringe phlägen (: lägen) 319, 18, den er nun fast
wörtlich übernimmt: ir sundir ringis pflagen (= lagen) Weltchr.
1 Außer den mehrfach genannten Arbeiten von Krüger und Henrich:
Preuss, Stilistische Untersuchungen über Gottfried v. Straßburg, Straß-
burger Studien 1 (1882), 1—-75; Piquet, L’originalite de Gotfried de Stras-
bourg (1905); v. Kraus, Ztschr. f. d. A. 51 (1909), 301—-378; Nolte,
Ztschr. f. d. A. 52, (1910), 61—83; die Programme und Dissertationen
von Lobedanz 1878, Lüth 1881, IIeidingsfeld 1886, Myska 1898, Pope
1903, Stiebeling 1905, Leistner 1907, Hansen 1908, Täuber 1912,
Leppelt 1913, Bittrich 1914, Lorenz 1914, Stökle 1915. Es müssen
dann natürlich alle Einflüsse Gotfrids auf Rudolf mit in Betracht gezogen
werden, nicht nur die oben als hervortretendste bezeichneten Schmückungs-
motive; wie denn auch Henrich noch eine Reihe anderer Erscheinungen
behandelt hat. Auch sonstige stilistische Gesichtspunkte sind bei der Ab-
hängigkeitsfrage zu berücksichtigen, so folgt Rudolf in der Anwendung des
Akrostichons Gotfrid (v. Kraus, Ztschr. f. d. A. 50, 222 und 51, 373ff.,
Singer, Ztschr. f. d. A. 38, 271 f. u. 40, 240, Junk, Beitr. 29, bes. S. 462ff.)
Wie Wolfram hat er im Alexander und im Willehalm die Einteilung in Bücher,
vgl. R. M. Me yer, Die deutsche Literatur bis zum Beginn des 19. Jhd.s, S. 181.
2 Einzelne Fälle bei Leitzmann, Ztschr. f. d. Phil. 43, 301—-307 und
Beitr. 42, 503—505; nach stilistischen Kategorien behandelt Henrich die
Einwirkung Wolframs auf Rudolfs Willehalm.
Gustav Ehrismann:
gehäuft, Gotfrids Stil hat der Epigone zur Manier übertrieben.
Aufgabe der Spezialforschung ist es, in exakter Methode durch
Vergleichung einzelner Stellen dieses Verfahren Rudolfs nachzu-
weisen und es sind auch schon Beiträge dazu geliefert worden1.
Gotfrids Tristan hat Rudolf die stilistische Kunstform gegeben,
die zierliche süeze Weise; er hat nichts gemein mit Wolframs
Dunkelheit, dem obskuren Ausdruck (in manege wis gebogen), von
ihm-hat er nur einzelne Vorstellungen und Ausdrücke und gewisse
technische Formeln übernommen, die die ästhetische Wirkung
seiner Sprache prinzipiell nicht beeinflussen, wenn sie auch gar
nicht selten sind. Die textlichen Ähnlichkeiten2 zwischen Rudolfs
und Wolframs Dichtungen zerfallen hinsichtlich ihrer Entstehung
im Bewußtsein des Autors in zwei Gruppen: Es sind 1. einmalige
Reminiszenzen: dem Dichter tritt bei der Ausarbeitung irgend
eines Gedankens auf dem Wege der Ideenassoziation die Vor-
stellung eines ähnlichen Vorganges in Wolframs Werken oder
das Erinnerungsbild eines für die sprachliche Fassung passenden
Ausdrucks ins Bewußtsein. Sie haben einen speziellen Inhalt,
z. B.: in der Weltchron. 13048ff. lagert sich das Heer in einzelnen
Abteilungen (ringe), da erinnert sich der Dichter eines ähnlichen
Falles in Wolframs Willehalm und damit des dazu gehörenden
Verses und sunder ringe phlägen (: lägen) 319, 18, den er nun fast
wörtlich übernimmt: ir sundir ringis pflagen (= lagen) Weltchr.
1 Außer den mehrfach genannten Arbeiten von Krüger und Henrich:
Preuss, Stilistische Untersuchungen über Gottfried v. Straßburg, Straß-
burger Studien 1 (1882), 1—-75; Piquet, L’originalite de Gotfried de Stras-
bourg (1905); v. Kraus, Ztschr. f. d. A. 51 (1909), 301—-378; Nolte,
Ztschr. f. d. A. 52, (1910), 61—83; die Programme und Dissertationen
von Lobedanz 1878, Lüth 1881, IIeidingsfeld 1886, Myska 1898, Pope
1903, Stiebeling 1905, Leistner 1907, Hansen 1908, Täuber 1912,
Leppelt 1913, Bittrich 1914, Lorenz 1914, Stökle 1915. Es müssen
dann natürlich alle Einflüsse Gotfrids auf Rudolf mit in Betracht gezogen
werden, nicht nur die oben als hervortretendste bezeichneten Schmückungs-
motive; wie denn auch Henrich noch eine Reihe anderer Erscheinungen
behandelt hat. Auch sonstige stilistische Gesichtspunkte sind bei der Ab-
hängigkeitsfrage zu berücksichtigen, so folgt Rudolf in der Anwendung des
Akrostichons Gotfrid (v. Kraus, Ztschr. f. d. A. 50, 222 und 51, 373ff.,
Singer, Ztschr. f. d. A. 38, 271 f. u. 40, 240, Junk, Beitr. 29, bes. S. 462ff.)
Wie Wolfram hat er im Alexander und im Willehalm die Einteilung in Bücher,
vgl. R. M. Me yer, Die deutsche Literatur bis zum Beginn des 19. Jhd.s, S. 181.
2 Einzelne Fälle bei Leitzmann, Ztschr. f. d. Phil. 43, 301—-307 und
Beitr. 42, 503—505; nach stilistischen Kategorien behandelt Henrich die
Einwirkung Wolframs auf Rudolfs Willehalm.