Metadaten

Ehrismann, Gustav; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 8. Abhandlung): Studien über Rudolf von Ems: Beiträge zur Geschichte d. Rhetorik u. Ethik im Mittelalter — Heidelberg, 1919

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37685#0072
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
72

Gustav Ehrismajnn:

zugenommen und damit ist ein Berührungspunkt gegeben mit
den selbständige Stoffteile bildenden Schilderungen von Mahl-
zeiten (so auch schon bei Wolfram).
Noch ist ein Stilmittel zu erwähnen, die langen Perioden.
Sie geben nicht dem stilistischen Gesamtausdruck eine bestimmte
Richtung, sondern werden nur an einzelnen Stellen angebracht,
besonders in den Prologen und Epilogen, z. B. im Alex. Prol.
zum 3. Buch 8025—39. 40—62; Willeh. Prol. zum 1. Buch 69—88.
89—111, zum 2. Buch 2152—2163, zum 3. Buch 5595—5613,
zum 4. Buch 9735—9755, zum 5. Buch 12218—12238, Epilog 15630
bis 15642. 15649 — 15663. 15666—15680; bes. in der Weltchr.:
1. Prol. 61 — 146, 4. Prol. 8798ff., 5. Prol. zwischen 21524 und
21740. Auch geistlich dogmatischer Inhalt wird in dieser umständ-
lichen Satzbildung dargeboten, so im g. Gerhard 300—314. 353
bis 364. 430—446. Diese auffallende, aus der Umgebung heraus-
tretende, ja das deutsche Sprachgefühl verletzende Erscheinung
ist ebenfalls ein beabsichtigtes Stilmittel und gehört zur Stili-
sierung der Prooemien. Formal stammt diese Überspannung des
Sprachstoffes im Satze aus der römischen Kanzlei, wo sie in den
Urkunden und Briefen einen breiten Raum einnimmt, und war
in lateinischen Vorreden gebräuchlich. Hier liegen die Anfänge
für den Periodenbau im Deutschen1. Einige der langstieligen
Prologe sind nur in Verse gebrachte Inhaltsangaben: Willeh. 69ff.
(vgl. auch 15630ff-), Weltchr. 61 ff. 21518ff., wobei ein Schema
zugrunde liegt, wie es rein prosaisch im Inhaltsverzeichnis des
Wälschen Gastes (Rückert S. 403ff.) oder des Renner Bd. IV,
4ff. (Ausg. des Bit. Vereins Bd. 256, S. 4ff.), eingehalten ist.
Das Ethos der beiden Ausdrucksweisen ist verschieden. Der
glänzende Formenreichtum der geblümten Ornamentierung ist ein
ideal-poetischer Phantasiestil, diese verstandesmäßig, logisch kon-
struierten2 Satzgefüge dagegen haben etwas von ihrem papierenen
Ursprung bewahrt, sie sind zum lesen eingerichtet und eignen der
Buchsprache, prosaischem Bericht, zusammenfassendem Referat,
bürokratischer Gespreiztheit, theologischer Erörterung. Der farb-
lose, unlebendige und unpersönliche Gelehrtenstil der Weltchronik
ist großenteils durch diese unepischen Konstruktionen bedingt.
1 Burdach, Zentralblatt f. Bibliothekswesen 8, 464; Deutsche Renais-
sance, Deutsche Abende 4. Vortrag, S. 17.
2 Burdach a. a. O.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften