Metadaten

Ehrismann, Gustav; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 8. Abhandlung): Studien über Rudolf von Ems: Beiträge zur Geschichte d. Rhetorik u. Ethik im Mittelalter — Heidelberg, 1919

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37685#0074
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
74

Gustav Ehrismann:

VIII. Cap. 3 (Migne Sp. 562B) bringt er in sechs Hexametern nicht
weniger als 27 asyndetisch sich folgende Glieder unter. — Eine kurze
Aufstellung der im Mittelalter gebräuchlichen rhetorischen Figuren
gibt Marbod in seinem für Schüler in Versen abgefaßten Libellus
De ornamentis verborum (Migne 171, 1687 —1692, vgl. auch sein
Liber decem Capitulorum Kap. I, De apto genere scribendi,
Sp. 1693f.). Hierunter werden auch gerade jene von Rudolf mit
Vorliebe angewandten Schemata behandelt. Voraus gehen im
Prolog u. a. die empfehlenden Worte Si potes his (d. i. scemata
verborum, Figuren)veluti gemmis et floribus uti, Fiet opus darum
velut hortus deliciarum, Quo diversorum fragrantia spirat odorum,
Nec deerit fructus1 florum de germine ductus: Mens auditoris per-
suasa nitore coloris. Die Wortwiederholung ist das ausgiebigste
Schmuckmittel. Sie wird von Marbod gleich an den Anfang
gestellt, und zwar in verschiedenen Formen: § 1 Repetitio, d. i.
= Anaphora; §2 Conversio = Epiphora, und ähnlich §3 Com-
plexio ; § 4 Traductio, Wiederholung abgesehen von Anaphora und
Epiphora: die Beispiele betreffen nur lautlich aber nicht begriff-
lich gleiche Wörter (Cur illum curas, qui multas dat tibi curas ?
Semper amare velim, si quid nihil insit amari), von besonderem
Interesse aber ist der Zweizeiler Si nihil in vita jucundiüs est tibi
vita, Indecorem vitam perages virtute relicta, mit Mittelreim,
eine künstlichere Form der Wiederholung, die für Gotfrid charak-
teristisch ist und die Rudolf von diesem gelernt hat (s. oben S. 58).
In Wortwiederholung besteht auch die Adnominatio § 15, die
etymologische Figur. Auch die Reihenbildung, congeries §11, ist
unter Marbods Regeln vertreten, hier Articulus genannt: Armis,
classe, cibo dives male castra petisti; Solus inermis, inops, inglo-
rius ecce redisti. Die Contentio, § 5, ist = Antithese, das Beispiel
beginnt: In luctu rides, inter convivia luges, also wie so häufig
in der mhd. Dichtung der Gegensatz von Freude und Trauer,
darauf folgen die Gegenpole Morgen und Abend (mane — vespere),
Frieden und Krieg (pax — bellum), reden und schweigen (clamare —
tacere), Stadt und Land (in urbe — rure)2.
Ausführlicher als Marbod ist Galfrid von Vinesauf (s.
oben S. 7)3. In seiner Poetik finden sich denn auch Beschrei-
1 Fruht ist ein Lieblingswort Rudolfs.
2 Eine Blütenlese von rhetorischen Perlen und Blumen gibt auch Ekke-
hards Dictamen de lege ornandi (s. oben S. 7).
3 \rgl. Kuno Francke a. a. O.; Wilibald Schrötter, bes. S. 27 ff.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften