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Ehrismann, Gustav; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 8. Abhandlung): Studien über Rudolf von Ems: Beiträge zur Geschichte d. Rhetorik u. Ethik im Mittelalter — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37685#0102
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102

Gustav Ehrismann:

Auch der g. Gerhard ist eine historische Erzählung und die
Ereignisse sind als wirkliche geschichtliche Begebenheiten auf-
gefaßt: Der Kaiser Otto, die Stadt Köln, der König Wilhelm von
Engelland, der Orient und der Handel mit den Mohamedanern,
genauere geographische Ortsbezeichnungen (z. B. 5259 — 5266.
5333—5338 6099f.), das sind positive Angaben, welche den
märchenhaften Stoff in bestimmte Zeitverhältnisse einreihen und
ihm eine historische Färbung verleihen. Die oben für den Wille-
halm angesetzten realistischen Züge finden sich auch hier: schon
die Haupthandlung, die in bürgerlicher Umgebung spielt, der
Beruf des Helden, des Kaufmanns, bedingen die Einführung von
Vorgängen des gewöhnlichen Lebens, darunter auch von Geld-
verhältnissen. Die großenteils nur formalen Motive vom Essen,
von der Messe, Tageszeiten sind auch schon im g. Gerhard nicht
selten (635-639. 723. 727. 2527. 2536f. 2550. 3475 3492f. 3517ff.
3537. 3540. 3565-3568. 3595. 3697-3705. 4931-4937. 5025f.
5052. 5072f. 5082. 5776-5779. 5875. 5965f. 5981 ff. 6027-6033.
6040f. 6059. 6791 f.), desgleichen chronologische Datierungen und
Zahlenangaben (1183. 1226. 1232. 1731. 1964. 3214. 3231. 3329f.
4941. 4944). In der Sprachkunst also liegt, wie erwähnt, zunächst
der Abstand zwischen dem Willehalm und dem g. Gerhard; in
der inneren Form, der Auffassung des Stoffes, hauptsächlich inso-
fern, als in dem früheren Werk ein idealer höfischer Ton herrscht,
während im Willehalm auch die gesellschaftlichen Formen, außer
an besonders affektierten Stellen, mehr auf das in Wirklichkeit
übliche Maß herabgestimmt sind.
Die historische Tendenz, die im Willehalm mit der romantisch-
romanhaften verbunden ist, bildet in der Weltchronik den allei-
nigen Gehalt. Dieses Verhältnis äußert sich auch im Stil der Welt-
chronik: er beruht auf einer Übertreibung der Formen des Wille-
halm. Mit den Wiederholungen, Häufungen, Reihenbildungen,
Steigerungen, Zahlenangaben, chronologischen Bestimmungen,
langen Sätzen, formelhaft wiederkehrenden Ausdrücken hat Rudolf
sich eine Sprache zurechtgemacht, mit der er rasch, bequem und
gewohnheitsmäßig den ungeheuren Stoff bewältigen konnte.
Diesen Chronikstil seines letzten Werkes könnte man seinen Alters-
stil nennen. Es ist mehr ein Lese- denn ein Vortragsstil.
abgefaßt ist als der Willehalm (siehe zu dieser Frage bes. Singer, Wolframs
Stil, S. 124), so müssen die stilistischen Übereinstimmungen zwischen dem
Willehalm und Philipps Jehan et Blonde aus ihrer gemeinsamen, uns ver-
lorenen französischen Vorlage stammen.
 
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