Studien über Rudolf von Ems.
105
freigebig 601. Aus reinem Herzen also entspringt das Gutsein und
diese Eigenschaften Gerhards fallen im System der Moralphilo-
sophie unter das Gebiet der Gerechtigkeit, justitia (vgl. Zs. f. d. A.
56, 142), denn er besitzt die Tugenden der Gottesverehrung,
religio, der Herzensreinheit, innocentia, der Barmherzigkeit, miseri-
cordia, der Wohltätigkeit, beneficientia, der Treue und Wahr-
haftigkeit, fides und veritas. Guot hat also moralbegrifflich die
Bedeutung von justus. Der gute Kaufmann ist ein justus, und
zwar im höheren Sinn, da ihm schon auf Erden Gottes Huld zuteil
wird (a. a. 0. S. 153f.). Das Herz sagt was gut ist, das Herz ist
ein Stück der menschlichen Natur, es folgt also natürlichem Gesetz,
dem Gewissen.
Was nun wirklich unter reiner Güte zu verstehen ist, das
zeigt der Dichter im Bilde, an den Handlungen des guten Kauf-
manns; sie beruhen auf der Demut und auf der aus der Liebe
zu Gott (6710 ff.) entspringenden Nächstenliebe. Eine Verherr-
lichung der Demut ist das Gedicht, Demut ist die Lehre, die der
Vater dem Sohn 4313—4328, der Dichter seinem Leser gibt
6892—6904. Das Gutsein ist eine substantielle Eigenschaft des
guten Gerhard. Er ist sich ihres Besitzes gar nicht bewußt: ich
bin niht guot 6621. In seiner Natur demnach ist die Demut be-
gründet. Er schreibt sich nur den guten Willen zu (933. 936. 943),
daß er auch zur Ausführung des Guten gelangt ist, das erkennt
er nicht an [von disem selben maere wart ich der guote genant, nu
ist mir leider unerkant daz reht des namen 6618 — 6621). In Ent-
sagung des Weltglücks und der Weltehren aus Liebe zu Gott
(6710—6719) bestehen seine demütigen Handlungen. Sie bewegen
sich in steigender Folge: er gibt sein Geld für die Befreiung der
Gefangenen, er opfert das Glück seiner Familie, er verschmäht
die Königskrone von England.
Aber eine reine, völlig selbstlose Sittlichkeit, die das Gute nur
um des Guten willen tut, hat sich das Mittelalter nicht vorstellen
können, und so ist gerade für den frommen Dichter der Schluß-
stein des Handelns die Aussicht auf den Lohn in der Ewigkeit,
Dienst und Lohn sind die Pole, innerhalb derer sich die mittel-
alterliche Sittlichkeit bewegt: ouch wirt von got im Ion bereit, swer
im an rehter stsetekeit dienet stsetecüche 6097—6909; wil du daz
dir dtn arbeit frume und ze guotem löne kume 563 f.; dar umbe ist
im veile mit eweclichem löne des himelriches kröne 546—548; du
lieze durch der seien heil der weide rlche werdekeit 6720 f.; so daz
105
freigebig 601. Aus reinem Herzen also entspringt das Gutsein und
diese Eigenschaften Gerhards fallen im System der Moralphilo-
sophie unter das Gebiet der Gerechtigkeit, justitia (vgl. Zs. f. d. A.
56, 142), denn er besitzt die Tugenden der Gottesverehrung,
religio, der Herzensreinheit, innocentia, der Barmherzigkeit, miseri-
cordia, der Wohltätigkeit, beneficientia, der Treue und Wahr-
haftigkeit, fides und veritas. Guot hat also moralbegrifflich die
Bedeutung von justus. Der gute Kaufmann ist ein justus, und
zwar im höheren Sinn, da ihm schon auf Erden Gottes Huld zuteil
wird (a. a. 0. S. 153f.). Das Herz sagt was gut ist, das Herz ist
ein Stück der menschlichen Natur, es folgt also natürlichem Gesetz,
dem Gewissen.
Was nun wirklich unter reiner Güte zu verstehen ist, das
zeigt der Dichter im Bilde, an den Handlungen des guten Kauf-
manns; sie beruhen auf der Demut und auf der aus der Liebe
zu Gott (6710 ff.) entspringenden Nächstenliebe. Eine Verherr-
lichung der Demut ist das Gedicht, Demut ist die Lehre, die der
Vater dem Sohn 4313—4328, der Dichter seinem Leser gibt
6892—6904. Das Gutsein ist eine substantielle Eigenschaft des
guten Gerhard. Er ist sich ihres Besitzes gar nicht bewußt: ich
bin niht guot 6621. In seiner Natur demnach ist die Demut be-
gründet. Er schreibt sich nur den guten Willen zu (933. 936. 943),
daß er auch zur Ausführung des Guten gelangt ist, das erkennt
er nicht an [von disem selben maere wart ich der guote genant, nu
ist mir leider unerkant daz reht des namen 6618 — 6621). In Ent-
sagung des Weltglücks und der Weltehren aus Liebe zu Gott
(6710—6719) bestehen seine demütigen Handlungen. Sie bewegen
sich in steigender Folge: er gibt sein Geld für die Befreiung der
Gefangenen, er opfert das Glück seiner Familie, er verschmäht
die Königskrone von England.
Aber eine reine, völlig selbstlose Sittlichkeit, die das Gute nur
um des Guten willen tut, hat sich das Mittelalter nicht vorstellen
können, und so ist gerade für den frommen Dichter der Schluß-
stein des Handelns die Aussicht auf den Lohn in der Ewigkeit,
Dienst und Lohn sind die Pole, innerhalb derer sich die mittel-
alterliche Sittlichkeit bewegt: ouch wirt von got im Ion bereit, swer
im an rehter stsetekeit dienet stsetecüche 6097—6909; wil du daz
dir dtn arbeit frume und ze guotem löne kume 563 f.; dar umbe ist
im veile mit eweclichem löne des himelriches kröne 546—548; du
lieze durch der seien heil der weide rlche werdekeit 6720 f.; so daz