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Brie, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 3. Abhandlung): Exotismus der Sinne: eine Studie zur Psychologie der Romantik — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37770#0012
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Friedrich Brie:

knüpft ist. Andererseits darf aber auch nicht übersehen werden,
daß exotistische Veranlagungen auch außerhalb der Sphäre der pro-
duzierenden Künstler existieren und daß somit die exotistischen
Erscheinungen, die wir innerhalb der Literatur feststellen können,
nur das reifste Symptom eines im größeren Umfange vorhan-
denen seelischen Phänomens sind. Dem Exotisten stehen zwei
Wege offen, um seine Sehnsucht zu befriedigen, einmal ein Sich-
versenken in diese Kulturen, indem er sie studiert oder sich in
der Phantasie mit ihnen befaßt, zum anderen die Herbeiführung
von Visionszuständen, in denen er sich zum! Bürger dieser oder
ähnlicher Welten macht.6 Letzteres kann auf zwei Weisen vor
sich gehen. Wie Uns die Zeugnisse von Beckford, De Quincey7
oder Flaubert beweisen, ist es in einer Reihe von Fällen dem
Exotisten möglich, sich ohne weitere Hilfsmittel in einen
Trance- oder Traumzustand zu versetzen, der ihm Bilder der
gewünschten Art zuführt. Diese Fähigkeit kann als der ideale
Fall bezeichnet werden. Meist aber bietet sich als Ersatz hier-
für dem Exotisten nur 'der Ausweg, sich mit Hilfe eines Nar-
kotikums, vor allem Opium oder Haschich, in einen visionären
Zustand zu versetzen, der ihm die Gefühle und die Bilder von
fremdartiger Schönheit, Wollust, Glück, Übermenschentum oder
Gottähnlichkeit verschafft, die ihm die Wirklichkeit nicht geben
kann, die aber vielfach sich berühren und auch vermischen mit
seinen Wunschbildern von Antike und Orient. Der narkotische
Rausch gib! ihm die Möglichkeit zur Befriedigung au h der
bizarrsten Wünsche. Ohne weiteres erfüllt wird durch den nar-
kotischen Zustand sein. Bedürfnis nach Steigerung der Sinnes-
eindrücke, nach stärkerer Intensität von Farben, Tönen und Ge-
rüchen, insbesondere auch das Bedürfnis nach Synästhesien,
nach Vermischung von Tönen, Farben und Gerüchen. Die bloße
Wrollust spielt allem Anschein nach in den narkotischen Visionen
der Exotisten keine entscheidende Rolle; berichten uns doch

6 Die Visionszustande werden von Cass-agne, für den sich Exotismüs
so gut wie ganz mit Orientalismus deckt (vgl. a. a. 0., S. 377), nicht
herangezogen.
7 Vgl. De QuiNCEY, Suspiria de Profundis (Works ed. Masson XIII335):
it is certain that some merely physical agencites can and do assist the facultiy
of dreaming almost pretematürally. Amongj these is intense exercise, — to
some extent at least for some persons; but beyond all others is opium. •—
Über Beckford und Flaubert vergleiche unten S. 22ff. und 51 ff.
 
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