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Brie, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 3. Abhandlung): Exotismus der Sinne: eine Studie zur Psychologie der Romantik — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37770#0020
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Friedrich Brie:

und sein Autor sehnen sich aus dieser Welt nach der Republik
Pta tos, wo die Liebe für Mann und Frau noch „heilig und frei“
war (1111). Wir Heutigen sind ein elendes Geschlecht: „Ein
Miltiades, Themistokles, ein Sylla und Cäsar können bei Gegen-
ständen Vergnügen empfinden, die bei einem Schwachen Abscheu
erregen und ihn martern, weil er nicht die große starke Selb-
ständigkeit hat, die Leiden anderer außer sich zu fühlen, ihre
Natur und Eigenschaften wie jene mit ihren Kräften zu ergründen
und zu erkennen, die Sphäre seines Geistes dabei zu erweitern,
und zugleich über alles dies emporzuragen, ohne sich als Teil
damit zu vermischen und selbst zu leiden. Griechen und Römer
vergnügte vieles, wovor wir fromme moralische Seelen Abscheu
haben“ (1170). Unsere Kunst muß elend sein gegenüber der
Kunst der Antike, denn unsere Moralanschauung ist eine elende:
„Bei einer gotischen Moral kann keine andere als gotische Kunst
stattfinden. Solange nicht ein Sokrates mit seiner Schule am
hellen Tag zu einer neuen reizenden Buhlerin ziehen darf, tun
ihre Schönheit in Augenschein zu nehmen, wird es nicht anders
werden“ (1261). Selbst wenn wir „aus unserem unmündigen
kindischen Wesen wieder zur reifen Menschheit gelängen“ und
durch Pflege der griechischen Spiele und Sitten die alte Höhe
der Kunst wieder errängen, hätten wir damit „ihre Religion noch
nicht, die fruchtbarste Mutter der schönsten Gestalten“ (1262).
Die moderne Tracht ist ungeschickt der griechischen gegenüber;
die heutige Kunst kann den näickten Menschen gar nicht ver-
wenden ; die Schönheit der griechischen Götter ist für die Ab-
bildung von Christus gar nicht zu verwerten. Nicht weniger be-
wundert.Heinse den Glanz und die Maßlosigkeit des alten Roms.
Er schwärmt von dem Kampfe der 124 Elefanten nach dem Siege
des Metellus, von den 100 Löwen Sullas und den 600 Löwen
des Pompejus, von Trajan, der nach dem Dacischen Kriege
123 Tage lang Schauspiele veranstaltete, bei denen bisweilen bis
zu 10000 zahme und wilde Tiere und unzählige Gladiatoren
kämpften, und von Kommodus, der nach Lampridius 100 Ele-
fanten mit eigener Hand umbrachte (1169). Wie für so viele
andere Exotisten ist auch für ihn Nero ein Ideal. Gestalten wie
Nero betrachtet er als das Ziel der Natur und erklärt sie in seinen
Aufzeichnungen als „menschlich über all unsere schachmatten
Fürsten mit ihrer Moral erhaben“. Die Praicht der römischen
Bäder läßt ihn die ganze Erbärmlichkeit der heutigen Kultur emp-
 
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