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Brie, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 3. Abhandlung): Exotismus der Sinne: eine Studie zur Psychologie der Romantik — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37770#0023
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Exotismüs der Sinne.

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Welt hinwegführen in eine phantastisch-orientalische Umgebung.
Lei, me dream away my existence in the lap of illusions heißt es
in einem Brief vom 1. Oktober 1780 (S. 92). „Meine Einbildungs-
kraft schweift nach anderen Ländern in der Suche nach Ver-
gnügungen, die sie nicht länger daheim findet“, meldet er in
einem andern vom März 1780 (S. 82). In einem dritten (26. Aug.
1783) spricht er von seinein Dreants of India and ancient times
(S. 168). Mit dem Ausdruck exotic bezeichnet er immer wieder
sich selbst und seine Neigungen (S. 75, 96, 114). Den Inhalt
seiner Träume baut er sich auf vor allem mit Hilfe von Erinne-
rungen üus „Talusend (und eine Nacht“. Diese Visionen, in denen
er sich nach den ungeheuren, blumenbedeckten Ebenen der Ta-
tarei, nach Ginnistan, in die Gegend des Atlas oder an das Ufer
des Nil versetzt fühlt, sind mit ihren prächtigen orientalischen
Marmorhallen, Türmen von seltsamer Architektur, schönen
Negern, wohlriechenden Landschaften, paradiesischen Örtlich-
keiten, himmlischen Chören, seltsamen Farben, Erscheinungen
verstorbener Freunde, von Ort zu Ort sich bewegenden Menschen-
massen und rasch wechselnden Schauplätzen von den Visionen
der Opilum- und Haschischraucher schlechterdings nicht zu unter-
scheiden20; wie bei diesen sind die Gesichte teils von unfaß-
barer Schönheit, teils von furchtbarer Schauerlichkeit,21 Wie
bei fast allen Exotisten sind auch bei ihm die Sinne, vor allem
der Geruchsiinn ungewöhnlich verfeinert; Wohlgerüche sind im-
stande, seine Nerven zu beleben und vor seiner Phantasie —•
wie später vor der Gautiers und Baudelaires — Visionen von
fernen Ländern und Zeiten hervorzurufen.22 Eine Probe mag ge-
20 Vgl. vor allem die Vision S. 62 ff., dann auch 75ff., 80ff. Dasselbe
gilt auch von einigen Partien des Vathek, besonders von der Schilderung des
Palastes von Eblis mit den sich bewegenden Massen von Gestalten.
21 A. a. 0., S. 82.
22 Vgl. einen „Brief“ vom 30. Juni 1780 in der von ihm herauSgegebeuem
Sammlung von Reiseaufzeichnungen in Briefform vom Jahre 1783, die den
Titel trägt: Dreams, Waking Thoughts and Lncidents in a Series of Letters.
In dieser Sammlung, die von mir zitiert wird nach der veränderten und er-
weiterten Fassung vom Jahre 1835, Italy with Sketches of Spain and Portugal
[Italy], laütet die betreffende Stelle: If disagreeable fumes, as I mentioined
before, dissolve enchantments, such aromatic oils have doubtless the power
of raising them; for whilst I scented their fragrancy, I could have persüaded
myself, I was in the wardrobe of Hecuba, —•
“Where treasured odours breathed a costly scent.’’
I saw or seemed to^ see, the arched apartmeints, the procession of matronsi, the
 
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