Exotismüs der Sinne.
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phantastischen Gebilden des Hirns, Städte und Tempel, welche
die Kunst von Phidias und Praxiteles, den Glanz von Babylon
und Hekatompylos übertreffen“. Ebenso weiß er unter den
Qualen des Opiums zu melden, daß ungeheure Prozessionen in
trauriger Pracht an ihm vorbeiziehen, Friese von nie endenden
Erzählungen, die so traurig und feierlich waren, als ob sie Er-
zählungen wären aus Zeiten vor Ödipus oder Priamus, vor Tyrus
und Memphis. Unter seinen qualvollen Träumen nehmen eine
besondere Stellung die orientalischen ein, die dreams of oriental
imagery, and mythological tortures (May 1818). Wir sehen,
wie er orientalische Visionen sucht und sie ihm zur Freude und
zur Pein werden. Er gesteht, wie ihn schon im Wachen das
Geheimnis, das über Indien und China liegt, gleichzeitig reizt
und quält. Gefühle der Ehrfurcht verbinden ihn mit dem süd-
lichen Asien als der Geburtsstätte der Menschheit. Die alten,
monumentalen, grausamen und kunstvollen Religionen Asiens,
das bloße Alter der dortigen Einrichtungen, die Erzählungen, die
Riten oder das Kastensystem überwältigen ihn. Die Namen des
Ganges oder des Euphrat haben für ihn einen ehrfürchtigen
Klang. Die ungeheuren Reiche, die es in Asien zu allen Zeiten
gab, geben in seinen Augen a further sublimity to the feelings
associated with all oriental names or images. Dementsprechend
ist der Inhalt der Visionen. Die Städtebilder, die seine archi-
tektonischen Visionen ihm vorgaukeln, tragen in ihrer Pracht
von Diamant, Gold, Alabaster und Silber und in ihren hoch
sich auf bauenden Terrassen ein orientalisches Gepräge, erinnern,
ohne daß des Namens Erwähnung geschieht, an die Städte von
„Tausend und eine Nacht“. Der Opiumtraum vom Juni 1819 gau-
kelt ihm eine orientalische Stadt mit Domen und Kuppeln in der
Art eines Bildes von Jerusalem vor. Aber gleichzeitig quält und
verfolgt ihn das Geheimnis Asiens in seinen Träumen. Ein
Malaie, der eines Tages sich zufällig in sein Haus verirrte, er-
zeugt in seinen Visionen Schreckbilder von weiteren, sich wild
gebärdenden Malaien. Alles, was mit China zusammenhängt,
ist ihm schon im Wachen ein Gegenstand des Entsetzens, und
er möchte lieber unter Wahnsinnigen und wilden Tieren leben
als unter Chinesen. Daraus entstehen die Träume von mytho-
logical tortures, die für uns nicht nur von Interesse sind als
Zeugnis für seinen „Orientalismus“, sondern auch deshalb, weil
wir hier die erste literarische Fixierung einer Spaltung des Ichs
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phantastischen Gebilden des Hirns, Städte und Tempel, welche
die Kunst von Phidias und Praxiteles, den Glanz von Babylon
und Hekatompylos übertreffen“. Ebenso weiß er unter den
Qualen des Opiums zu melden, daß ungeheure Prozessionen in
trauriger Pracht an ihm vorbeiziehen, Friese von nie endenden
Erzählungen, die so traurig und feierlich waren, als ob sie Er-
zählungen wären aus Zeiten vor Ödipus oder Priamus, vor Tyrus
und Memphis. Unter seinen qualvollen Träumen nehmen eine
besondere Stellung die orientalischen ein, die dreams of oriental
imagery, and mythological tortures (May 1818). Wir sehen,
wie er orientalische Visionen sucht und sie ihm zur Freude und
zur Pein werden. Er gesteht, wie ihn schon im Wachen das
Geheimnis, das über Indien und China liegt, gleichzeitig reizt
und quält. Gefühle der Ehrfurcht verbinden ihn mit dem süd-
lichen Asien als der Geburtsstätte der Menschheit. Die alten,
monumentalen, grausamen und kunstvollen Religionen Asiens,
das bloße Alter der dortigen Einrichtungen, die Erzählungen, die
Riten oder das Kastensystem überwältigen ihn. Die Namen des
Ganges oder des Euphrat haben für ihn einen ehrfürchtigen
Klang. Die ungeheuren Reiche, die es in Asien zu allen Zeiten
gab, geben in seinen Augen a further sublimity to the feelings
associated with all oriental names or images. Dementsprechend
ist der Inhalt der Visionen. Die Städtebilder, die seine archi-
tektonischen Visionen ihm vorgaukeln, tragen in ihrer Pracht
von Diamant, Gold, Alabaster und Silber und in ihren hoch
sich auf bauenden Terrassen ein orientalisches Gepräge, erinnern,
ohne daß des Namens Erwähnung geschieht, an die Städte von
„Tausend und eine Nacht“. Der Opiumtraum vom Juni 1819 gau-
kelt ihm eine orientalische Stadt mit Domen und Kuppeln in der
Art eines Bildes von Jerusalem vor. Aber gleichzeitig quält und
verfolgt ihn das Geheimnis Asiens in seinen Träumen. Ein
Malaie, der eines Tages sich zufällig in sein Haus verirrte, er-
zeugt in seinen Visionen Schreckbilder von weiteren, sich wild
gebärdenden Malaien. Alles, was mit China zusammenhängt,
ist ihm schon im Wachen ein Gegenstand des Entsetzens, und
er möchte lieber unter Wahnsinnigen und wilden Tieren leben
als unter Chinesen. Daraus entstehen die Träume von mytho-
logical tortures, die für uns nicht nur von Interesse sind als
Zeugnis für seinen „Orientalismus“, sondern auch deshalb, weil
wir hier die erste literarische Fixierung einer Spaltung des Ichs