Metadaten

Brie, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 3. Abhandlung): Exotismus der Sinne: eine Studie zur Psychologie der Romantik — Heidelberg, 1920

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37770#0065
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Exotism'us der Sinne.

65

C’est l’bomme de Stambbul, d’iopinm enivre:
Dans les champs de l’extase nn moment egare,
Loiin du sol il s’eleve, il plane, il est splendide;
Qu’uine cbute ä propios lui rende La raision
C’est pitie de le wir, taut l’etrange poison
Lüi laisse le front lourd, l’oeil vague, et l’air stupide!
Hand in Hand geht damit die Schwärmerei für den Orient. So
wundert sich der Dichter in Attar-El-Aroud (a. a. 0. II, S. 42),
daß auch nur ein einziger von den Kreuzfahrern den Weg aus
dem üppigen Orient nach Hause zurückgefunden habe.
Eigentümliche, gemäßigte Formen zeigt der Exotismus bei
dem Schriftsteller, der durch Abstammung und Heimat ihm so-
zusagen verfallen war, hei Leconte de Lisle (1818—1894).
Von mütterlicher Seite her kreolischer Abstammung, wuchs er
in den Tropen auf der Insel Bourbon (Reunion) auf und empfing
hier in seiner Jugend unauslöschliche Eindrücke durch die
Wunderwelt des Orients, durch seine Farben, Gerüche, Pflanzen,
Früchte, Tiere, Menschen und vor allem seine Landschaftsbilder.
Von dem Augenblicke an, wo Leconte de Lisle als junger Mann
von 19 Jahren diese Welt verließ, blieb1 ihm die Sehnsucht nach
ihr treu.124 Diese Sehnsucht, die wie ein Leitmotiv seine Dich-
tungen durchzieht und nach der Art der Kreolen melancholisch
und sentimental ist, verleiht seinem Exotismus die ihm eigen-
tümliche Färbung. Zum -Unterschied von den! Wunschbild der
anderen Exotisten ist -sein Orient auf der einen Seite etwas
wirklich Geschautes und Empfundenes, aber auf der anderen
Seite zugleich eine Welt von ruhender, feierlicher, harmonischer
Schönheit, die ebensowenig wie seine Vorstellung von der Antike
etwas enthält, was die Sinne oder die Phantasie in Aufregung
versetzen könnte. Sein Exotismus beruht nicht auf der Sehn-
sucht nach der Buntheit, Wildheit und Wollust des Orients
und zwingt ihn dementsprechend auch nicht zu einer völligen
Verneinung der Gegenwart und ihrer Werte. Paris und Frank-
reich, religiöse und soziale Interessen kommen bei ihm neben
seinem Exotismus zu Rechte. Dieser Mangel an Aggressivität,
der ihn so deutlich von seinen Vorgängern unterscheidet, wird
äußerlich verstärkt noch durch die impassiibilite und neutralite sei-
ner Gedichte. Dennoch bleibt er ein Exotist durch seine Einstellung
124 Vgl. M.-A. LEBLOND, Leconte de Lisle, Paris 1906, S. 26If. und be-
sonders 408 ff.
Sitzungsberichte der Heidelb. Akademie, phiL-bist. Kl. 1920. 3. Abh. 5
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften