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Brie, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 3. Abhandlung): Exotismus der Sinne: eine Studie zur Psychologie der Romantik — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37770#0066
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66

Friedrich Brie:

zur Gegenwart, die (auch für ihn zurücktritt hinter dem, was. Orient
und Altertum für ihn bedeuten. So erklärt es sich auch, daß
ihm die Empfindungen des ennui und des Hasses gegen seine
Zeit nicht fremd sind, vielmehr in gelegentlichen Äußerungen
sein ganzes Leben hindurch wiederkehren.125 Wie er in einem
Brief aus dem Jahre 1839 bedauert, daß die Zeit vorüber sei,
wo der Dichter als privilegierte Persönlichkeit nur in der Kunst
und um. der Kunst willen lebte, so entwickelt er noch in der
Vorrede zu dien Poemes et Poesies (1855), daß er seine Zeit, das
Zeitalter der Industrie, hassen müsse, weil es die Poesie töte,
und daß er sich deshalb der Antike zuwende. In zahlreichen
Gedichten und Erzählungen seiner Jugend singt er das Lob seiner
tropischen Heimat. In Les yeux d'or de la Nuit126 singt er davon,
wie seine Träume unaufhörlich zu deren ivresses sacrees zurück-
Jtehren. Mit derselben Sehnsucht denkt er aber auch noch im
Alter (L’Illusion supreme) an die Bilder zurück, die seine Wiege
umgaben, an die Pflanzenwelt, die Gerüche, die Eingeborenen
und die Landschaft. Wie er über den engen Bezirk seiner Insel
hinaus den Orient als seine Heimat empfindet, zeigt ein Gedicht
wie L'Orient126, wo er den Orient feiert als die AViege der
Menschheit und der erhabenen Visionen; umsonst haben unsere
Väter ihn einst verlassen, denn sie haben ihren Kindern die
Sehnsucht nach ihm vererbt:
Le vivant Souvenir de la Patrie antiqne
1 Eait toujours, däns ruotre ombre et nos reves sans fin,
Resplendir ta lumiere ä l’borizon divin.
Dazu stimmt, wenn er im Jahr 1855127 ein großes Werk an-
kündigt, Vhistoire de Vere sacerdotale et heroique d'une de ces
races mysterieuses venues de Vantique Orient pour peupler les
deserts de VEurope. Genau wie den Orient betrachtet er Griechen-
land als seine Heimat. Der Zusammenhang ist so eng, daß man
mit Recht bei ihm von einer Mischung zwischen Indertum und
Griechentum gesprochen hat. Eine äußere Ähnlichkeit zwischen
seiner Heimatinsel und der meerumflossenen Inselwelt von Hellas
mag zu der Anknüpfung beigetragen haben; vor allem aber sah
er im alten Griechenland wie im Orient gegenüber der Moderne

125 Zum ennui vgl. Gedichte wie Si l’Aurore und A un Polte mort in den
Poemes tragiques.
126 Demiers Poemes.
127 im Pfeface des Poemes et Poesies (Derniers Poemes).
 
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