Exotismus der Sinn«.
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ursprünglichen Veranlagung entsprach und wie sein Exotismus
sich zu seinen sonstigen, bisweilen fast kindlichen Charakter-
zügen verhält, läßt sich aus dem bis heute veröffentlichten bio-
graphischen Material nicht feststeilen. Eine Periode des ennui,
wie wir sie bei Beckford oder den französischen Exotisten fest-
stellen köxinen, liegt bei ihm nicht vor. Eine gewisse Hyper-
ästhesie der Sinne hat er wohl besessen, aber doch nicht in dem
Grade, daß das Verlangen seiner Sinne ihn in einen dauernden
Gegensatz zu seiner Umgebung gebracht hätte. Bezeichnend ist,
daß er in seinem späteren Leben zwischen Paganismus und
Puritanismus, Leidenschaft und Askese dauernd hin und her
geschwankt hat. So wundern wir uns nicht, daß, wie alles
übrige an ihm, etwa seine Freiheitsliebe, seine Politik, seine
Religiosität, selbst seine Naturschilderungen und seine Synästhe-
sien135, auch sein Exotismus stark literarisch und rhetorisch ge-
färbt erscheint. Das zeigt sich schon daran, daß er trotz seiner
ausgesprochen lyrischen Veranlagung dem Verlangen der Sinne
niemals direkt, mit der eigenen Person redend, Ausdruck gibt,
sondern immer nur indirekt, indem er über etwas schreibt oder
mit der Stimme eines anderen spricht. Seine exotistischen Nei-
gungen kommen zum Ausdruck fast ausschließlich in der Periode
von 1860—1866, wo die Jugenddichtungen Cha-stelard, AtalantcL
und die Poems and Ballads entstehen. Seine Lehrmeister sind,
außer den Präraffaeliten, Länder und die französischen Exo-
tisten. Lander, den Garlyle als einen „großartigen alten Heiden“
bezeichnete, hatte sich, ohne von Haus aus bemerkbare exo-
tistische Neigungen zu besitzen, im Verlaufe seines langen Lebens
aus seinem Bedürfnis nach Schönheit heraus so weit in die
„apollinische“ Antike, vor allem griechische Sprache und Kultur,
eingelebt, daß er sich von jeder christlichen Dogmatik, Meta-
physik oder Mystik abwandte zu einem epikureischen Stand-
punkte, der nur noch darauf ausging, das gegenwärtige Leben
so schön als möglich auszugestalten und zu genießen136; ohne
in Polemik gegen das Christentum einzutreten, gelangte er so
allmählich dazu, das Heidentum des Perikleischen Athens als
die überlegene Auffassung der Welt anzuerkennen. Den pole-
135 Vgl. v. Siebold, a. a. 0., S. 304.
3.36 ygi_ vor aiiem die Dialoge Lucian and Timotheus und Epicurus,
Leontion and Ternissa in den Imaginary Conversations, außerdem Pericles
and Aspasia.
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ursprünglichen Veranlagung entsprach und wie sein Exotismus
sich zu seinen sonstigen, bisweilen fast kindlichen Charakter-
zügen verhält, läßt sich aus dem bis heute veröffentlichten bio-
graphischen Material nicht feststeilen. Eine Periode des ennui,
wie wir sie bei Beckford oder den französischen Exotisten fest-
stellen köxinen, liegt bei ihm nicht vor. Eine gewisse Hyper-
ästhesie der Sinne hat er wohl besessen, aber doch nicht in dem
Grade, daß das Verlangen seiner Sinne ihn in einen dauernden
Gegensatz zu seiner Umgebung gebracht hätte. Bezeichnend ist,
daß er in seinem späteren Leben zwischen Paganismus und
Puritanismus, Leidenschaft und Askese dauernd hin und her
geschwankt hat. So wundern wir uns nicht, daß, wie alles
übrige an ihm, etwa seine Freiheitsliebe, seine Politik, seine
Religiosität, selbst seine Naturschilderungen und seine Synästhe-
sien135, auch sein Exotismus stark literarisch und rhetorisch ge-
färbt erscheint. Das zeigt sich schon daran, daß er trotz seiner
ausgesprochen lyrischen Veranlagung dem Verlangen der Sinne
niemals direkt, mit der eigenen Person redend, Ausdruck gibt,
sondern immer nur indirekt, indem er über etwas schreibt oder
mit der Stimme eines anderen spricht. Seine exotistischen Nei-
gungen kommen zum Ausdruck fast ausschließlich in der Periode
von 1860—1866, wo die Jugenddichtungen Cha-stelard, AtalantcL
und die Poems and Ballads entstehen. Seine Lehrmeister sind,
außer den Präraffaeliten, Länder und die französischen Exo-
tisten. Lander, den Garlyle als einen „großartigen alten Heiden“
bezeichnete, hatte sich, ohne von Haus aus bemerkbare exo-
tistische Neigungen zu besitzen, im Verlaufe seines langen Lebens
aus seinem Bedürfnis nach Schönheit heraus so weit in die
„apollinische“ Antike, vor allem griechische Sprache und Kultur,
eingelebt, daß er sich von jeder christlichen Dogmatik, Meta-
physik oder Mystik abwandte zu einem epikureischen Stand-
punkte, der nur noch darauf ausging, das gegenwärtige Leben
so schön als möglich auszugestalten und zu genießen136; ohne
in Polemik gegen das Christentum einzutreten, gelangte er so
allmählich dazu, das Heidentum des Perikleischen Athens als
die überlegene Auffassung der Welt anzuerkennen. Den pole-
135 Vgl. v. Siebold, a. a. 0., S. 304.
3.36 ygi_ vor aiiem die Dialoge Lucian and Timotheus und Epicurus,
Leontion and Ternissa in den Imaginary Conversations, außerdem Pericles
and Aspasia.