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Brie, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 3. Abhandlung): Exotismus der Sinne: eine Studie zur Psychologie der Romantik — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37770#0075
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Exotismtos der Sinne.

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liehen soll, „als den Logos, der nicht mit, sondern vor Gott !am
Anfang war und der gerade jetzt den Zusammenbruch und die
Verfinsterung sieht und schaut, wie der Gott oder die Götter,
die vergebens ihn aus der AVelt und aus Delphi zu vertreiben
gedachten, in entfernteres Dunkel fliehen“.Ula
Wie Gautier und Baudelaire reizen auch Swinburne die ge-
heimnisvollen Formen des antiken Geschlechtslebens und so
schildert er in dem Gedicht Anactoria die Liebe der Sappho zu
ihren Freundinnen und im Hermaphroditus (1863) an der Statue
im Louvre die bekannte schöne, aber unfruchtbare Spielform der
Geschlechter.142 Ein Ausdruck seines Exotismus ist auch die
bezeichnende Aufzählung antiker und orientalischer Frauenge-
stalten in der Masque of Queen Bersabe, die in allem ihrem Zauber
orientalischer Pracht und Sinnlichkeit auftreten, Herodias, Aho-
libah, Kleopatra, Abihail, Azubah, Aholah, Ahinoam, Atarah,
Semiramis, Hesione, Chrysothemis, Thomyris, Harhas, Myrrha,
Pasiphae, Sappho, Messalina, Amestris, Ephrath, Pasithea, Ala-
ciel und Erigone. Kleopatra, die Lieblingsgestalt der Exotisten,
verherrlichte der Dichter auch noch in einem eigenen Liede143;
Gestalten wie Canace, Myrrha, Phaedra oder Pasiphae tauchen
in seinen Schriften immer wieder auf.
Mit Swinburnes Exotismus ist aufs engste verwandt der Exo-
tismus von Walter Pater (1839—1894). Auch bei ihm ist
schwerlich ein übermächtiges und ursprüngliches Bedürfnis der
Sinne vorhanden, das ihn gerade nach jenen exotischen Welten
hätte hindrängen müssen, sondern es ist seine allgemeine Vor-
liebe für das Schöne und Seltsame, das ihn unter anderem auch
zu diesen Welten hinzieht. Zum Unterschied von Swinburne ist
er so sehr Ästhet, daß er das Leben nur noch so weit in den
Kreis seiner Betrachtungen einbezieht, als es Kunst oder Literatur
geworden ist. Mit dieser Verschiebung vom ursprünglichen Ver-
langen der Sinne nach der epikureischen Beschaulichkeit und dem
reinen Ästhetentum hin beginnt sich bei ihm der Exotismus zu
verdünnen und zu verflüchtigen. Wohl sieht er den Sinn des
Lebens im Ergreifen besonderer Emotionen, aber seine Vorliebe
141a Letters of Swinburne ed. Hake and Compton-Rickett (1918) S. 63.
ii2 Vgl. auch in dem Aufsatz über die Gedichte Rossettis (1870) den Aus-
spruch über that sweet marble monster of both sexes, das Shelley und Gautier
so geliebt hätten.
143 GOSSE, a. a. 0., S. 155.
 
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