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Künßberg, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 7. Abhandlung): Rechtsbrauch und Kinderspiel: Untersuchungen zur deutschen Rechtsgeschichte und Volkskunde — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37774#0018
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18

E. Frh. v. Künssberg:

so beim Grenzgang1 oder bei der Grundsteinlegung einer
Brücke2.
Die größte Wirkung auf alle Teilnehmer an einer Grenz-
begehung, vor allem auf den Meistbeteiligten mußte es haben,
wenn er auserlesen wurde geräppelt3 zu werden, d. h. wenn seine
Sitzfläche etwas unsanft auf einem Grenzstein gerieben wurde
oder darauf 'gestaucht’ oder ‘gestützt’ wurde4. Aus Niederöster-
reich wird berichtet, daß Neulinge unter den Knaben ‘gelunznet’
wurden von den Erwachsenen. Das heißt sie wurden beim Kopf
und bei den Füßen gepackt und einige Male mit dem Hinteren
an den Grenzstein geschwungen5. Solcher Denkzettel haftete ebenso
wie die „Dachtel“ an der Backe. Nicht versäumt durfte dieser für'
den Betroffenen wahrhaft bemerkenswerte Rechtsbrauch werden
auf Steinen, die schon durch ihren Namen daran erinnerten6.
So der Stutzärschelstein7 bei Handschuhsheim, der Buben-
stein bei Hirschhorn, ,,Ku,ck in den Pott“ bei Geismar8 u. a. Bis-
weilen wurde wohl nur auf neugesetzte Marksteine9 oder auf strittig
gewesene10 gestaucht. Der derbe Humor dieses Marksteinsetzens
1 Th. Knapp (S. 16). Zedler, Universallexikon 9 (1737), 1375.
2 In Nürnberg. Boesch, Kinderleben in deutscher Vergangenheit, 89.
3 Schwab. WB. 5, 141.
4 Denkbar ist eine ursprünglich kultische Bedeutung des Setzens auf
den Stein; nämlich die, durch Sitzen auf dem zauberkräftigen Stein sich dessen
segenwirkende Macht anzueignen. Als Aufnahmebrauch ist Ähnliches nicht
selten und weist wohl auf einen Sitzritus der germanischen Jünglingsweihe
zurück. Goldmann, Einführung der deutschen Herzogsgeschlechter, 146ff.,
163.
5 Vernaleken, Alpensagen, 394. Das Lunznen entspricht dem nieder-
deutschen Brauch des botarsens. Vgl. unten S. 61 Anm. 5. Der Neuling in pfäl-
zischen Mähdergenossenschaften wird auf den „Taufstein“ „gestumpft“.
Becker, Pfälzer Frühlingsfeiern, HessBIVk. 6 (1907), 166. ‘kuelpumpen’ oder
‘Pumpen’ hieß ein Mähderbrauch im Göttingischen (um 1825): ‘Ein etwa
12jähriges Mädchen, das zum erstenmal zum Wenden erschien, wurde von
zwei Mähdern gefaßt, zusammengebeugt und mit den Lenden nicht sehr sanft
auf die schweren Stiefelhacken eines dritten Mähders gestoßen, der sich bäuch-
lings auf die Erde gestreckt hatte und die Unterschenkel hoch hielt. Ur-
sprünglich soll der Grenzstein zum Aufstoßen benutzt worden sein’. Krause,
Zu den Bergenschen Spielen, HansGBl. 10 (1882), 111.
6 „wo ein notabler, etwa deren Benachbarten wegen zu notierender Grenz-
stein aufstößet“ 1735 Zedler, Universallexikon 9, 1375.
7 Vgl. unten S. 61 Anm. 5 stütteersen, botarsen.
8 Falckenheiner, Hess. Städte II, 461.
9 Falckenheiner a. a. O.
10 Grimm RA.4 II, 74.
 
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