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Künßberg, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 7. Abhandlung): Rechtsbrauch und Kinderspiel: Untersuchungen zur deutschen Rechtsgeschichte und Volkskunde — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37774#0039
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Rechtsbrauch und Kinderspiel.

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gesunken1; die Türkennot, die dreißigjährige Kriegszeit, und andere
schwere Zeiten leben in oft unverstandenen Erinnerungen in der
Kinderseele2. Als ein Rest aus der Zeit der Pest- und Totentänze
wird seit Wackernagel3 das Kinderspiel „Wer fürchtet sich vor
dem Schwarzen Mann?“ aufgefaßt; ebenso das Kartenspiel
„Schwarzer Peter“.
Die rechtsgeschichtliche Volkskunde wird ihr Augenmerk den § 56.
nichtaktuellen Spielen zuwenden und wird sie daraufhin unter-
suchen, ob sie etwa seinerzeit eine zeitgetreue Nachahmung von
Rechtsbräuchen waren, ob sozusagen das Puppenkleid nicht den
Schnitt eines alten Staatskleides aufweist. Denn es ist eine viel-
fache Beobachtung: Sitten und Bräuche sinken herab und werden
entwertet; tausendfach zeigt uns das die Sprache, deren abge-
griffene Münzen schließlich den ursprünglichen Wert kaum mehr
ahnen lassen; wir beobachten die gleiche Erscheinung in der Tracht,
im Kunstgeschmack, bei allerlei Gebrauchsgegenständen4. Und so
wie eine verfallende Ritterburg oft gerade noch ein kleines bäuer-
liches Anwesen beherbergt oder gar nur mehr der fröhlichen
Jugend zum Tummelplatz dient, so bewahrt auch das Landvolk
oder die Jugend noch die Erinnerung an diesen oder jenen einst
bedeutsamen Rechtsbrauch, geradeso wie manches Gerät, das bei
den Erwachsenen außer Gebrauch gekommen ist, als Kinderspiel-
zeug durch Jahrtausende weiterlebt5.
Spiele, die in diese Gruppe gehören, sind ursprünglich auch
Nachahmungsspiele gewesen; ihre Urbilder aber sind abgestorben
oder haben sich verändert. Die Spiele werden gemäß der Über-
1 Boesch, Kinderleben in der deutschen Vergangenheit, S. 69f., 74f.
Im Kaiserstuhl bei Freiburg ist aus dem berühmten geflügelten Wort: „Ruhe
ist die erste Bürgerpflicht“ ein gereimtes Wiegenlied geworden. Meyer,
DVk. 120.
2 Vgl. den Nachweis von Spuren der Religionsstreitigkeiten bei Gelin,
L’empreinte huguenote dans la literature orale du Poitou (Bull. d. 1. soc. de
l’histoire du protestantisme fran§ais) 54, 365ff. An die Zeit der Gegenrefor-
mation in Österreich gemahnt die Drohung, die man im Volksmunde und unter
Kindern hören kann: „Wart, ich werde dich katholisch machen“, d. h. weid-
lich prügeln.
3 Zeitschr. für deutsches Altertum 9, 338. Roci-ii-iolz, Alam. Kinderlied,
376ff. Böhme, Gesch. d. Tanzes in Deutschland I, 47.
4 Für Waffen vgl. die Bemerkungen von H. Gross, Handbuch des
Untersuchungsrichters, 559f.
5 Groos, Spiele der Menschen, S. 55, gibt als interessante Beispiele dafür
an die Kinderrassel und Kinderklapper, die einst Musikinstrumente waren.
 
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