Rechtsbrauch und Kinderspiel.
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tung. Die volkstümlichste und verbreitetste Erklärung war die:
der Daumen ist Gott Vater, der Zeigefinger Gott Sohn, der Mittel-
finger der Heilige Geist. Rochholz1 bringt nun diese Eiddeutung
mit den Fingersprüchen der Kinder in Beziehung. Das ist zu
gewagt. Die kindlichen Fingersprüche halte ich für viel älter als
die Fingerdeutung bei der Eidesverwarnung2. Daß man aber
umgekehrt das Kinderverschen nachgeahmt hat bei der volks-
tümlichen Aufklärung über die Schwurgebärde ist keineswegs an-
zunehmen.
II. Ein geschlossenes Rechtssystem aus Kinderspielen
zusammenzustellen würde nicht gelingen; denn es sind nicht alle
Rechtseinrichtungen von Kindern nachgeahmt worden, ganz ab-
gesehen davon, daß so manche Spiele uns wohl auch verloren
gegangen sind. Die anschaulichen Formen des älteren Rechts,
seine sinnenfrohe Symbolik3, die dem beobachtenden Kinde oft
wie ein anmutiges Spiel vorgekommen sein mag, forderten ja
geradezu zum Nachspielen auf, wenn schon das Mitspielen nicht
immer möglich war. Die uns in kindlicher Verkleidung erhal-
tenen Rechtsaltertümer stammen aus verschiedenen Zeiten, die
einzelnen Stücke und Bruchstücke passen nur selten und
zufällig zusammen. Frühes und Spätes steht oft unver-
mittelt nebeneinander, wie nicht anders zu erwarten ist. So
verträgt sich ja auch im Volksglauben Heidnisches mit Christ-
lichem. Die Kinder bringen in heidnischer Weise Beerenopfer,
z. B. den sogen. „Zoll“4, daneben aber spielen sie naiv harmlos5
1 Alamann. Kinderlied und Kinderspiel aus der Schweiz, 1857. S. 99ff.
2 v. Künssberg, Schwurfingerdeutung und Schwurgebärde, ZSchweizR.2
39 (1920), S. 384 ff.
3 Die sogenannten Rechtssymbole waren keineswegs auf den Kreis des
Rechtslebens beschränkt; sie gehörten auch dem sonstigen Leben, der Kunst,
Religion usw. an. Daß dann z. B. der allgemeine Brauch des Halmziehens
ebenso im Rechtsleben wie im Kinderspiel vorkommt, ist selbstverständlich.
Vgl. ZingeAle, Kinderspiel im Mittelalter, 32f.
4 Vgl. Hepding, Über alte Bräuche beim Beerensammeln. ZVk. 27
(1917), 278 und oben § 42.
5 Im Mittelalter dachten auch die Erwachsenen naiver über die Nach-
ahmung religiöser Bräuche. Vgl. A. Franz, Die Messen des Mittelalters,
1902, S. 754. (Zwei Meßparodien des 15. Jahrh.). Religiöse Parodien auch
bei Drost, Nederl. Kinderspel, 129.
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tung. Die volkstümlichste und verbreitetste Erklärung war die:
der Daumen ist Gott Vater, der Zeigefinger Gott Sohn, der Mittel-
finger der Heilige Geist. Rochholz1 bringt nun diese Eiddeutung
mit den Fingersprüchen der Kinder in Beziehung. Das ist zu
gewagt. Die kindlichen Fingersprüche halte ich für viel älter als
die Fingerdeutung bei der Eidesverwarnung2. Daß man aber
umgekehrt das Kinderverschen nachgeahmt hat bei der volks-
tümlichen Aufklärung über die Schwurgebärde ist keineswegs an-
zunehmen.
II. Ein geschlossenes Rechtssystem aus Kinderspielen
zusammenzustellen würde nicht gelingen; denn es sind nicht alle
Rechtseinrichtungen von Kindern nachgeahmt worden, ganz ab-
gesehen davon, daß so manche Spiele uns wohl auch verloren
gegangen sind. Die anschaulichen Formen des älteren Rechts,
seine sinnenfrohe Symbolik3, die dem beobachtenden Kinde oft
wie ein anmutiges Spiel vorgekommen sein mag, forderten ja
geradezu zum Nachspielen auf, wenn schon das Mitspielen nicht
immer möglich war. Die uns in kindlicher Verkleidung erhal-
tenen Rechtsaltertümer stammen aus verschiedenen Zeiten, die
einzelnen Stücke und Bruchstücke passen nur selten und
zufällig zusammen. Frühes und Spätes steht oft unver-
mittelt nebeneinander, wie nicht anders zu erwarten ist. So
verträgt sich ja auch im Volksglauben Heidnisches mit Christ-
lichem. Die Kinder bringen in heidnischer Weise Beerenopfer,
z. B. den sogen. „Zoll“4, daneben aber spielen sie naiv harmlos5
1 Alamann. Kinderlied und Kinderspiel aus der Schweiz, 1857. S. 99ff.
2 v. Künssberg, Schwurfingerdeutung und Schwurgebärde, ZSchweizR.2
39 (1920), S. 384 ff.
3 Die sogenannten Rechtssymbole waren keineswegs auf den Kreis des
Rechtslebens beschränkt; sie gehörten auch dem sonstigen Leben, der Kunst,
Religion usw. an. Daß dann z. B. der allgemeine Brauch des Halmziehens
ebenso im Rechtsleben wie im Kinderspiel vorkommt, ist selbstverständlich.
Vgl. ZingeAle, Kinderspiel im Mittelalter, 32f.
4 Vgl. Hepding, Über alte Bräuche beim Beerensammeln. ZVk. 27
(1917), 278 und oben § 42.
5 Im Mittelalter dachten auch die Erwachsenen naiver über die Nach-
ahmung religiöser Bräuche. Vgl. A. Franz, Die Messen des Mittelalters,
1902, S. 754. (Zwei Meßparodien des 15. Jahrh.). Religiöse Parodien auch
bei Drost, Nederl. Kinderspel, 129.