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Künßberg, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 7. Abhandlung): Rechtsbrauch und Kinderspiel: Untersuchungen zur deutschen Rechtsgeschichte und Volkskunde — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37774#0044
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E. Frh. v. Künssberg:

Königsspiele auch in den Niederlanden bekannt sind, ist nicht
verwunderlich1.
§ 62. Bemerkenswert ist, daß in der Kinder- und Märchenwelt die
Königsgewalt in der Regel eine unumschränkte ist. Wie weit der
dem Märchen selbstverständliche Absolutismus geht2, zeigt recht
deutlich das Märchen von der Prinzessin im Sarge und der Schild-
wache. Da müssen alle Nacht sechs Soldaten bei der Prinzessin
Wache stehen und werden von ihr umgebracht. Dem Kindersinn
entspricht es ja überhaupt, daß Herrschaft, Rechte, Befugnisse und
Befehle unumschränkt sind. Die Krone, oft auch noch Reichs-
apfel und Szepter tragen die Könige auf den Märchenbildern
ebenso selbstverständlich bei jeder Gelegenheit, wie sie auch auf
Spielkarten und sonstigen Darstellungen so gekennzeichnet werden.
Auch als gerechter Richter, dem alle Gerichte ledig werden, lebt
der mittelalterliche König in Märchen und Spiel fort3. Die Königs-
spiele und Königsfeste der Kinder scheinen großenteils eine Nach-
§ 63. ahmung von Spielen und Festen Erwachsener zu sein. Königswahl,
Königsschmauß, Königshofstaat, wobei natürlich die Königin
nicht fehlen durfte, gab es bei allerlei Volksfesten und geselligen
Bräuchen4. Und diese Volksfeste die ganz oder teilweise auf antike
Wurzeln zurückgehen5, dürften angeregt worden sein durch die
1 Siehe Anm. 4.
2 Wir können in solchen Zügen wohl orientalische Einflüsse auf die
abendländische Märchenwelt vermuten, abgesehen von Übertreibungen wie
sie das Märchen und die kindliche Phantasie lieben. Vgl. Ch. Buhler, Das
Märchen in der Phantasie des Kindes, 1918 (Beihefte zur Zeitschr. f. ange-
wandte Psychologie 17).
3 Siehe unten § 93.
4 Vgl. DWB. 5, 1698. 1703. 1710. 1713. SchweizJd. 3, 334; 6, 159.
Schwab WB. 4, 601 f. 604. ZRhWestfVk. 13 (1916), 2 69 f. Kneppler, Schul-
wesen im Elsaß, 441 f., 445. Wie es zur Schlägerei zwischen zwei „König-
reichen“ kam vgl. oben § 2. 26. I. 1606 Königreich zu Reichenbach gehalten.
Rex sorte electus erat Hans Krig jun. in domo Bilgeri. HessBIVk. 2, 149.
1613 ist dieser Brauch nebst anderen verboten worden, ebd. 150. — „Also
pflegt man noch in vielen schlesischen Schulen am S. Gallitage durchs Hahnen-
gebeiß einen König zu machen.“ Schoppe, Volkskundliches bei Val. Her-
berger (16. —17. Jhd.). MittSchlesVk. 16 (1914), 245. Maikönig, Graskönig
usw. Reichhardt, Deutsche Feste 152. E. H. Meyer, Bad. Volksl. 494.
Königreich der Aussätzigen 1611 in Lahr, ebd. 68. Für Holland vgl. Verwijs-
Verdam, Middelnederlandsch Woordenboek 3, 1780. 1786. Drost, Nederl.
Kinderspel, 16. A. de Cock, Plet spei van de koningsdochter (s. S. 43).
Zum Pfeiferkönigreich vgl. Moser, G. d. deutschen Musik I, 312ff.
5 Vgl. oben S. 42 Anm. 1 (Schulkönig) und S. 43 Anm. 4 (basilinda).
 
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