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Künßberg, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 7. Abhandlung): Rechtsbrauch und Kinderspiel: Untersuchungen zur deutschen Rechtsgeschichte und Volkskunde — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37774#0055
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Rechtsbrauch und Kinderspiel.

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die Kinder einen Schanclpfahl auf und werfen nach ihm. Wer
fehlwirft, heißt ,,Kaakhoor“ und hat die Steine immer wieder
aufzustellen1. Wenn im Kinderspiel der Name eines Mitspielers
schimpflich an eine Türe geschlagen wird („Gretjen ehr Name § 86.
ward an de Dör slagen“)2, so darf man darin wohl mit Recht eine
Erinnerung an älteres-Recht sehen; der Name entlaufener Grund-
höriger oder entlaufener Soldaten wurde an den Pranger oder gar
an den Galgen geschrieben. Bocksfutter3 war eine Art von Fol-
terung, die noch 1849 in Appenzell angewendet wurde: da werden § 87.
die Hände zwischen den Oberschenkeln nach hinten gezogen und
festgebunden, sodaß man weder sitzen noch stehen kann. Als
Knabenspiel lebt der Brauch weiter. Solche Beispiele ließen sich
leicht vermehren. Daß es im Kinderland auch Gefängnisse4 gibt,
ist klar.
Es darf nicht wundernehmen, wenn die Kinder im Spiele § 88.
Tiere zur Verantwortung ziehen und über sie Strafen verhängen.
Zur Erklärung genügt jedoch die Selbstverständlichkeit, mit der
Kinder alles personifizieren; gleich den Naturvölkern fühlen sie
die Grenze zwischen sich und den Tieren nicht so scharf. An die
ehemals vorkommenden Tierstrafen und Tierprozesse braucht man
deshalb nicht zu denken.
Noch ist daran zu erinnern, daß die Strafspiele der Kinder § 89.
nicht bloß Abbilder des ernsten Strafrechtes der Erwachsenen
waren — daß die Kinder im Strafvollzug reichlich Gelegenheit
hatten es kennen zu lernen, wurde ja schon oben erwähnt5 —,
sondern die Spiele waren wohl auch Nachahmungen der Schul-
strafen. Das Schulstrafrecht der früheren Jahrhunderte bot aber
ein viel bewegteres Bild wie heute. Entlehnte es ja der rauhen
Wirklichkeit des öffentlichen Lebens und des Soldatenlebens eine
Reihe drastischer Strafen, die auf ehrenempfindliche Kinder-
gemüter um so stärker wirkten, als auch für die Schulstrafen der
Grundsatz des öffentlichen Vollzuges galt. Und welche Öffentlich-
keit kann unbarmherziger sein in ihrer Schadenfreude und Spott-
lust als die ganze Schulgemeinde ? Pranger, Schandbank, Schand-
1 -Handelmann 92f.
2 Ebenda 64 f.
3 SchweizJd. I, 1137.
4 Vgl. den Turm im Landjägerspiel. S. Meier, SchweizAPchVk. 22 (1918),
96 oder in ,,des Königs Töchterlein“.
5 §§ 11 ff.
 
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