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Künßberg, Eberhard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 7. Abhandlung): Rechtsbrauch und Kinderspiel: Untersuchungen zur deutschen Rechtsgeschichte und Volkskunde — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37774#0056
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56

E. Frh. v. Künssberg:

mütze und Eselreiten waren ganz geläufige Ehrenstrafen1 neben
der für unentbehrlich gehaltenen Rute2. War doch „unter der
Rute sitzen“ gleichbedeutend mit „zur Schule gehen“. Aber für
eine ausgelassene Jugend konnten auch Strafen ihren Schrecken
verlieren und zum allgemeinen Scherz und Übermut ausschlagen;
Fritz Reuter erzählt, wie sich in seiner Jugend die Schulbuben
darum stritten, wer den Esel tragen dürfe.
§ 90. 4. Im Rechtsgang des Kinderspiels sind Trümmer eines Straf-
verfahrens aus verschiedenen Zeiten bewahrt und nebeneinander
üblich. Von einem bürgerlichen Rechtsgang sind keine Spuren, er
bietet dem Kindergemüt auch zu wenig.
§ 91. Die Selbsthilfe, in Form geregelter Fehde3, ist für ein gewisses
Alter sozusagen der normale Rechtsgang. Die Feindseligkeiten
werden ordnungsgemäß angesagt, es fehlt auch nicht an befriedeten
Orten, Zeiten und Personen. Es gelten bestimmte Waffen und
Kampfmittel für ehrlich, andere für unehrlich, „gemein“. Ins-
besondere ist das Asylrecht, das Recht der Male4, der Freiorte,
§ 92. die vor Verfolgung schützen, sehr ausgedehnt und verdiente einmal
eine eingehendere Untersuchung. Auf zwei Dinge mag hier hin-
gewiesen werden. In Wien gibt es ein Fangspiel „Feopolden“, bei
dem der Freiort unter dem Ruf „da ist Leopold!“ geltend gemacht
wird. Das geht zurück auf die Rabenberger Leopolde, denen so
manches Asyl sein Bestehen verdankt. Bisweilen ist der Anspruch
auf den Schutz des Asyls im Kinderspiel schon gewahrt, wenn man
1 Vgl. die Bilder bei Boesch, Kinderleben, 103f. Ziegler, Gesch. der
Pädagogik4, 1917, S. 123, 198. K. A. Schmid, Gesch. der Erziehung IV, 265.
Eseltragen. Kneppler, Schulwesen im Elsaß bis 1530, Straßburg 1905, S. 268.
2 Vgl. Rochholz, Alemannisches Kinderlied, S. 513ff. (Die Rute küssen).
Kneppler S. 266ff. Neben der Rute kamen besondere Pritschhölzer vor.
Im lübischen Museum sind zwei (eines davon mit der Hausmarke des Lehrers)
aus dem 15. Jahrhundert, 45—54 cm lang gedrechselt, etwa von der Form
-eines Kochlöffels. Vgl. die Abbildung in Zeitschr. f. Erziehungs- und Schul-
geschichte 2 (1912), Tafel I bei S. 234.
3 Darauf hat schon Laband aufmerksam gemacht. Rechtsaltertümer in
der Gegenwart, S. 3.
4 Mal gehört zu Malstätte Dingstatt. Vgl. Groos, Spiele der Menschen,
307 f. Im Schwäbischen auch „Stetz“ für Mal. SchwäbWB. 5, 1741.
Die Namen des Mals und die Freirufe sind sehr verschieden. Am Nieder-
rhein hört man ‘Akkre’, das Caro (Jahrb. f. niederd. Spracht. 32, 64) von
akkreditieren ableitet; in Lübeck ‘Tax’; in Heidelberg heißt der Freiort
‘Paß’, in Schwaben ‘die Botte’ (vgl. SchwäbWB. 1, 1327), in der Schweiz
Anschlagigs (vgl. Argovia 4 [1866] 180) usw.
 
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