Vita Contenjplativa.
contemplor enthält ein Bild, das aus der Sprache des römischen
Sacralrechtes stammt. Templum (gleichen Stammes wie das grie-
chische τέμνεiv schneiden und τέμενος Abschnitt) hieß der abge-
grenzte viereckige Bezirk, auf dem der römische Augur beim
Erkunden des Götterwillens stehen mußte; und zugleich das
Himmelsgewölbe, an dem er mit seinem Krummstab die Begionen
abgrenzte und die Götterzeichen, Donner und Blitz vor allem,
beobachtete. So ist das Wort contemplari, das demnach ursprüng-
lich bedeutet „den heiligen Bezirk auf der Erde und am Himmel
mit dem Blick umfassen“, besonders geeignet, im übertragenen
Sinne zunächst die forschende Betrachtung des Sternhimmels zu
bezeichnen. Von Cicero an bis in späte Zeit wird contemplari
und die davon abgeleiteten Worte mit ausgesprochener Vorliebe
in diesem Sinne verwendet. Erst, als die antike Philosophie immer
tiefer von der Religion durchdrungen und beherrscht wurde, also
mit dem Vordringen der hellenistischen Mystik und des Christen-
tums, wird das Wort vom Anschauen Gottes gebraucht: an die
Stelle der Betrachtung und Erkenntnis dieses wunderreichen
sichtbaren Weltalls, das mit den Augen des Körpers und des
Geistes sich erfassen läßt, tritt nun die andachtsvolle Versenkung
in die unsichtbare Gottheit, in jenes Licht, von dem alles irdische,
auch das der Sonne, nur ein schwacher Abglanz ist. Platons Mystik
hat auch hier den Weg gezeigt; aber wie sehr er Grieche ist, fühlt
man im Symposion, wo der Weg zur Unvergänghchkeit der Idee
über die Sinnenwelt führt.
Wann ist der neue Typus des Forschenden und Erkennenden
in das griechische Leben getreten ? Er ist vorbereitet durch den
Dichter und Sänger; sie sind die Wissenden, freilich nicht aus
sich, sondern durch die Gabe der Musen, die viel Erfundenes, aber
auch viel Wahres zu sagen wissen. Das griechische Epos stellt dem
starken Achill den klugen und vielgewandten Odysseus gegenüber,
der vieler Menschen Städte gesehn und Meinung erkannt hat;
aber da handelt es sich noch um ein rein praktisches Verstehen.
Die sieben Weisen mit ihrer leidenschaftslosen Lebensbetrachtung
machen den Übergang. Mit Solon, wie ihn die Sage bei Herodot dar-
stellt, beginnt am Anfang des 6. Jahrhunderts die neue Art dessen, der
um des Schauens willen, nach Weisheit strebend, in fremde Länder
reist. Ihm folgen Hekatäus von Milet und Herodot von Halikarnaß
und die unabsehbare Reihe der Griechen, die ein unbezwinglicher
contemplor enthält ein Bild, das aus der Sprache des römischen
Sacralrechtes stammt. Templum (gleichen Stammes wie das grie-
chische τέμνεiv schneiden und τέμενος Abschnitt) hieß der abge-
grenzte viereckige Bezirk, auf dem der römische Augur beim
Erkunden des Götterwillens stehen mußte; und zugleich das
Himmelsgewölbe, an dem er mit seinem Krummstab die Begionen
abgrenzte und die Götterzeichen, Donner und Blitz vor allem,
beobachtete. So ist das Wort contemplari, das demnach ursprüng-
lich bedeutet „den heiligen Bezirk auf der Erde und am Himmel
mit dem Blick umfassen“, besonders geeignet, im übertragenen
Sinne zunächst die forschende Betrachtung des Sternhimmels zu
bezeichnen. Von Cicero an bis in späte Zeit wird contemplari
und die davon abgeleiteten Worte mit ausgesprochener Vorliebe
in diesem Sinne verwendet. Erst, als die antike Philosophie immer
tiefer von der Religion durchdrungen und beherrscht wurde, also
mit dem Vordringen der hellenistischen Mystik und des Christen-
tums, wird das Wort vom Anschauen Gottes gebraucht: an die
Stelle der Betrachtung und Erkenntnis dieses wunderreichen
sichtbaren Weltalls, das mit den Augen des Körpers und des
Geistes sich erfassen läßt, tritt nun die andachtsvolle Versenkung
in die unsichtbare Gottheit, in jenes Licht, von dem alles irdische,
auch das der Sonne, nur ein schwacher Abglanz ist. Platons Mystik
hat auch hier den Weg gezeigt; aber wie sehr er Grieche ist, fühlt
man im Symposion, wo der Weg zur Unvergänghchkeit der Idee
über die Sinnenwelt führt.
Wann ist der neue Typus des Forschenden und Erkennenden
in das griechische Leben getreten ? Er ist vorbereitet durch den
Dichter und Sänger; sie sind die Wissenden, freilich nicht aus
sich, sondern durch die Gabe der Musen, die viel Erfundenes, aber
auch viel Wahres zu sagen wissen. Das griechische Epos stellt dem
starken Achill den klugen und vielgewandten Odysseus gegenüber,
der vieler Menschen Städte gesehn und Meinung erkannt hat;
aber da handelt es sich noch um ein rein praktisches Verstehen.
Die sieben Weisen mit ihrer leidenschaftslosen Lebensbetrachtung
machen den Übergang. Mit Solon, wie ihn die Sage bei Herodot dar-
stellt, beginnt am Anfang des 6. Jahrhunderts die neue Art dessen, der
um des Schauens willen, nach Weisheit strebend, in fremde Länder
reist. Ihm folgen Hekatäus von Milet und Herodot von Halikarnaß
und die unabsehbare Reihe der Griechen, die ein unbezwinglicher