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F. Boll:
die wissenschaftliche Forschung. Das höhnische Wort Mephistos
Verachte nur Vernunft und Wissenschaft“ wird heute von vielen
nur allzu wörtlich befolgt. Die Forschung erscheint ihnen als eine
ziellose Sisyphosarbeit, weil jede Erkenntnis dazu verurteilt ist,
immer wieder von einer neuen aufgenommen und überwunden
zu werden. In Wahrheit hat darauf schon Aristoteles die voll-
gültige Antwort gegeben. In jedem Augenblick, wo einer betrach-
tend und forschend am Werke sitzt, erfüllt die Wissenschaft ihre
Aufgabe, weil in ihr wie im Schaffen des Künstlers eine der niemals
auszutilgenden Lebensfunktionen des Menschen, und eine seiner
höchsten, sich auswirkt; in jedem Augenblick reiner Erkenntnis
wird, soweit es einem Menschen möglich ist, ein Stück Ewigkeit
erlebt.
Schlimmer als diese Angriffe sind heute die Gefahren, die der
wissenschaftlichen Forschung und Lehre aus der Überspannung des
Staatsbegriffs drohen. Der Preis der Vita comtemplativa soll keine
Kampfansage gegen die gerechten Ansprüche sein, die auch an
uns die gährende Zeit stellt. Wir werden unsere Pflichten gegen
die im Staate verkörperte Gesamtheit nicht verleugnen. Wir sind
uns bewußt, sie selbst am wenigsten entbehren zu können. Die
moderne Wissenschaft ist in ihren Mitteln allzu anspruchsvoll
geworden, als daß sie gleich der antiken je wieder ohne die Hilfe
des Staates zu bestehen vermöchte. Aber er muß sich die Ein-
sicht bewahren, daß es Mächte gibt, die ihr Dasein unabhängig
von äußerer Gewalt führen müssen, wenn sie leben und wirken
sollen: das sind die Religion, die Kunst und die Wissenschaft.
Sie haben bisher jeden Wandel der Geschicke der Menschheit über-
dauert; und wenn sie unter den Trümmern einer Welt begraben
werden sollten, so werden sie wieder aufwachen, wie Platons
Akademie nach abermals neunhundert Jahren im Florenz der
Mediceer wiedererstanden ist. Das bewegte Leben des Tages wird
auch ihnen neue Probleme und Forderungen stellen, aber in ihrem
innersten Wesen werden sie sich gleich bleiben, solange nicht die
Menschennatur selbst in ihrem Wesen sich verändert. Die Politi-
sierung alles Lebens, wie sie heute von manchen als der Weisheit
letzter Schluß gepriesen wird, ist nur ein Irrweg. Es wird und muß
immer Menschen geben, die nach dem Wort des Philosophen
Seneca sich darum mühen, ob nicht ihr Tun in der Stille der
Menschheit mehr Nutzen bringen könne als die hastige Geschäftigkeit
vieler anderer, und deren Muße danach trachtet, und sei es im
F. Boll:
die wissenschaftliche Forschung. Das höhnische Wort Mephistos
Verachte nur Vernunft und Wissenschaft“ wird heute von vielen
nur allzu wörtlich befolgt. Die Forschung erscheint ihnen als eine
ziellose Sisyphosarbeit, weil jede Erkenntnis dazu verurteilt ist,
immer wieder von einer neuen aufgenommen und überwunden
zu werden. In Wahrheit hat darauf schon Aristoteles die voll-
gültige Antwort gegeben. In jedem Augenblick, wo einer betrach-
tend und forschend am Werke sitzt, erfüllt die Wissenschaft ihre
Aufgabe, weil in ihr wie im Schaffen des Künstlers eine der niemals
auszutilgenden Lebensfunktionen des Menschen, und eine seiner
höchsten, sich auswirkt; in jedem Augenblick reiner Erkenntnis
wird, soweit es einem Menschen möglich ist, ein Stück Ewigkeit
erlebt.
Schlimmer als diese Angriffe sind heute die Gefahren, die der
wissenschaftlichen Forschung und Lehre aus der Überspannung des
Staatsbegriffs drohen. Der Preis der Vita comtemplativa soll keine
Kampfansage gegen die gerechten Ansprüche sein, die auch an
uns die gährende Zeit stellt. Wir werden unsere Pflichten gegen
die im Staate verkörperte Gesamtheit nicht verleugnen. Wir sind
uns bewußt, sie selbst am wenigsten entbehren zu können. Die
moderne Wissenschaft ist in ihren Mitteln allzu anspruchsvoll
geworden, als daß sie gleich der antiken je wieder ohne die Hilfe
des Staates zu bestehen vermöchte. Aber er muß sich die Ein-
sicht bewahren, daß es Mächte gibt, die ihr Dasein unabhängig
von äußerer Gewalt führen müssen, wenn sie leben und wirken
sollen: das sind die Religion, die Kunst und die Wissenschaft.
Sie haben bisher jeden Wandel der Geschicke der Menschheit über-
dauert; und wenn sie unter den Trümmern einer Welt begraben
werden sollten, so werden sie wieder aufwachen, wie Platons
Akademie nach abermals neunhundert Jahren im Florenz der
Mediceer wiedererstanden ist. Das bewegte Leben des Tages wird
auch ihnen neue Probleme und Forderungen stellen, aber in ihrem
innersten Wesen werden sie sich gleich bleiben, solange nicht die
Menschennatur selbst in ihrem Wesen sich verändert. Die Politi-
sierung alles Lebens, wie sie heute von manchen als der Weisheit
letzter Schluß gepriesen wird, ist nur ein Irrweg. Es wird und muß
immer Menschen geben, die nach dem Wort des Philosophen
Seneca sich darum mühen, ob nicht ihr Tun in der Stille der
Menschheit mehr Nutzen bringen könne als die hastige Geschäftigkeit
vieler anderer, und deren Muße danach trachtet, und sei es im