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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1921, 4. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 1: Marsilius von Inghen und die okkamistische Schule in Deutschland — Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.37794#0019
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Studien zur Spätscholastik. I.

19

liehen Gewalt an seinen Besitz zu fühlen1, und so ist es vielleicht
nicht zufällig, daß die französischen Korporationen an der Univer-
sität seit den 60 er Jahren entschiedener als früher die Ansprüche
der Deutschen zurückzudrängen suchten. Rangstreitigkeiten waren
freilich zwischen den Nationen nichts Neues, aber sie scheinen
jetzt an Häufigkeit und Zähigkeit zuzunehmen. Denkt man an
den vergeblichen Versuch Karls IV., den Papst nach Rom zurück-
zuführen (1367/70) und die savoyischen Grenzlande für das Reich
zu erhalten (1365), so könnten die Kämpfe der englisch-deutschen
mit den übrigen Magisterzünften um die Grenzen ihres Rekru-
tierungsgebietes oder gegen das ,,Tribulieren“ deutscher Kandi-
daten bei den Examina2 fast wie ein verkleinertes Abbild jener
politischen Vorgänge erscheinen, in denen die französische Einfluß-
sphäre damals unablässig weiter gegen die deutsche Reichsmacht
Raum gewann. Die Deutschen sind infolge ihrer Minderzahl in
schwieriger Lage; aber mit großer Zähigkeit beharren sie auf
ihren wirklichen oder vermeintlichen „Privilegien“, in zuweilen
sich jahrzehntelang fortschleppenden Verhandlungen. Besonders
hartnäckig wurde der Streit um das „Examen von St. Genovefa“
geführt, dessen ursprünglicher Anlaß nicht ganz deutlich zu er-
kennen ist3 4.
Das Examen im Kloster St. Genevieve hatte für die natio
Anglicana eine größere Bedeutung als das „obere“ Examen bei
Notredame; ihre Bakkalare zogen jene Prüfung meist vor, weil die
Nation auf die Besetzung der dortigen Examenskommission einen
größeren Einfluß besaß1. Es scheint nun5, daß der Vizekanzler von
St. Genevieve (vielleicht ein vom Kanzler ernannter gallischer Pro-
fessor ?) bei den Prüfungen 1370 einen angeblichen Anspruch der
Gallier auf Vorrang ihrer Prüflinge entgegen der Ansicht der deut-
schen Examinatoren durchzusetzen suchte. Nach einem vergeb-
1 Vgl. J. Haller, 2. Kapitel.
2 1358: Auct. I, 212, 233, Chart. III, p. 58; 1364-1380: Auct. I, 295,
297, 298, 316, 591; 1369: Auct. I, 345. Ferner s. ff. Anm.
3 Über die Examina bei St. Genevieve und Notredame s. Kaufmann I
262/3 u. Thurot, 53 ff.
4 Denifle im Auct. I, p. XXXI.
5 Vgl. Denifle im Auct. I, p. LXII, in Vbdg. mit ibid. 179 (Klage
von 1355, März 17). Aus dem Verlangen der Deutschen, ut bacchalarios licen-
ciandos secundum tenorem bullae et depositionem examinatorum solummodo
licenciaret ist kaum ein Anhalt zu gewinnen. Auct. I, 351; ferner ibid. 350,
352, 355-60. 362.
 
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