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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1921, 4. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 1: Marsilius von Inghen und die okkamistische Schule in Deutschland — Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.37794#0020
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20

Gerhard Ritter:

liehen Versuche, auf den Kanzler der Klosterkirche einzuwirken,
erhob die Nation Beschwerde beim Kanzler von Paris (Notredame),
in der Fakultätsversammlung und vor dem Rektor. Schließlich
wandte sie sich, unterstützt von der pikardischenund normannischen
Nation, an den schottischen Bischof Golterus de Wardelaw, der
gerade zur Kurie reiste, um durch ihn auf den Papst einzuwirken;
man vergaß auch nicht, den Sekretär des hohen Herrn durch ein
jocale von 4 Franken für die deutsche Sache zu gewinnen. Mar-
silius, der gerade als Gesandter in Avignon weilte,wurde schriftlich
aufgefordert, eine günstige Entscheidung des Papstes zu erwirken.
Die Sache scheint bald darauf vorläufig in einer brüderlichen Ver-
ständigung mit den Galliern begraben zu sein. Aber 1372 gab es
neuen Streit. Die französische Majorität der Universität wünschte
den Papst zu bitten, er möge die Pfründengesuche im Falle der
Bewerbung von zwei Magistern um dieselbe Stelle nach der Reihen-
folge des Rotulus berücksichtigen. Da nun die Deutschen als
kleinste Nation herkömmlich stets an letzter Stelle auf dem Rotulus
erschienen, so protestierten sie heftig1. Diesmal ging es um eine
gewichtige Frage der wirtschaftlichen Existenz. Marsilius war der
Sprecher seiner Landsleute in der Universitätsversammlung. Die
Beratung in zwei Sitzungen zeigte bereits deutlich die nationalen
Gegensätze, wie sie ähnlich später im kirchlichen Schisma heraus-
treten scfllten: die pikardische (flämisch-wallonische) Nation auf
Seiten der Deutschen, die Theologen zu friedlichem Ausgleich der
Gegensätze geneigt, entsprechend ihrer eigenen national gemischten
Zusammensetzung, alle andern Gruppen außer den Juristen, die
sich von den Theologen überzeugen ließen, auf der Gegenseite.
Da ein Mehrheitsbeschluß nach mittelalterlicher Weise anscheinend
vermieden wurde, hören wir nichts über den Ausgang. Marsilius
ließ beide Male ein notarielles Protokoll aufnehmen, aus dem wir
erfahren, daß er sehr energisch gesprochen hat: die geplante Ord-
nung sei contra deum et justiciam!
Wenige Jahre später gab wieder das Examen von St. Genovefa
Anlaß zum Zwist. In der Frühjahrsprüfung 1376 weigerten sich
die Examinatoren (offenbar die Kommissionsmitglieder der galli-
schen Nation), solche deutsche Bakkalare zur Prüfung zuzulassen,
1 Chart. III, p. 203-5. 1372 März 17, bzw. Mai 3. Vgl. ibid. p. 269;
Quae quidem natio ultimo inrotulari consuevit, non quia posterior dignitate
apud nos existat, sed quia antiquitati placuit hunc ordinem observare. (rotulus
von 1379). Auct. I, 410-11.
 
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