Studien zur Spätscholastik. I.
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Begriff cles vollendeten und des unvollendeten Unendlichen. Die
Möglichkeit des Unendlichen in fieri wurde festgehalten, die in
facto esse aufgegeben. Gott konnte also über alle endlichen Grenzen
hinaus seinen Schöpferwillen betätigen, aber nicht das eigentlich
„Unendliche“ schaffen. Die Unterscheidung der „modernen“ Logik
zwischen uneingeschränkt (cathegoreumatice) und eingeschränkt (syn,
cathegoreumatice) gültigen Sätzen kam diesen Distinktionen zu Hilfe.
Indem man sie zugleich auf das Problem der unendlichen Teilbar-
keit des Raumes und der Zeit anwandte, entstanden ausgedehnte
Betrachtungen in Anknüpfung an antike und neuere Sophismen,
die sich auch bei Marsilius reichlich vertreten finden1. Ihre besondere
Form gewinnen sie durch die Verbindung zwischen dem Problem
des unendlichen Raumes und der unendlichen Zeit einerseits, dem
unendlich Großen und der unendlichen Teilbarkeit andererseits,
wie sie sich bei den Vorläufern Okkams und seinen Nachfolgern
ausgebildet hatte2. Der innere Widerspruch zwischen der End-
lichkeit des aristotelischen Universums und seiner ewigen Dauer
war der Scholastik nicht verborgen geblieben. Wenn die Welt von
Ewigkeit her bestand, warum sollte der Schöpfer nicht unendlich
Großes schaffen können ? Brauchte er doch nur in jedem beliebigen
Teil der unendlichen Zeit einen Körper, z. B. einen Stein von end-
licher Größe zu schaffen; die schließlich^ Summierung dieser
Steine hätte einen unendlich ausgedehnten Körper ergeben. In
anderer Wendung des Gedankens ließ sich auch ein endlicher Zeit-
abschnitt, z. B. eine Stunde, in geometrisch absteigender Proportion
in unendlich viele Teile zerlegen, deren jeder durch einen Schöp-
fungsakt ausgefüllt wurde, um zu demselben Ergebnis zu gelangen,
ln der Tat gab es einzelne Lehrer, wie Johannes de Bassolis, die
mit Hilfe dieser Überlegungen die mathematisch-logischen Argu-
mentationen des Aristoteles über den Haufen warfen und geradezu
die Möglichkeit des Unendlichen in actu zu beweisen versuchten.
Aber die communis opinio der Okkamisten war das nicht3. Okkam
selbst, Buridan und Albert von Sachsen waren viel zu sehr durch-
drungen von der Macht der im Begriff des Unendlichen liegenden
Schwierigkeiten, um die eben genannten Gedankengänge glattweg
anzuerkennen. Außerhalb ihres engeren Kreises stand Gregor von
1 z. B. abbrev. phys. 1. VI, qu. 3 — 4, Bl. 55v ff.
2 Die Entstehungsgeschichte dieser komplizierten Theorien bei Duhem
II, 368-407.
3 So der Ausdruck des Marsilius, lib. sent. I, qu. 42, art. 3 Bl. 180 c.
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Begriff cles vollendeten und des unvollendeten Unendlichen. Die
Möglichkeit des Unendlichen in fieri wurde festgehalten, die in
facto esse aufgegeben. Gott konnte also über alle endlichen Grenzen
hinaus seinen Schöpferwillen betätigen, aber nicht das eigentlich
„Unendliche“ schaffen. Die Unterscheidung der „modernen“ Logik
zwischen uneingeschränkt (cathegoreumatice) und eingeschränkt (syn,
cathegoreumatice) gültigen Sätzen kam diesen Distinktionen zu Hilfe.
Indem man sie zugleich auf das Problem der unendlichen Teilbar-
keit des Raumes und der Zeit anwandte, entstanden ausgedehnte
Betrachtungen in Anknüpfung an antike und neuere Sophismen,
die sich auch bei Marsilius reichlich vertreten finden1. Ihre besondere
Form gewinnen sie durch die Verbindung zwischen dem Problem
des unendlichen Raumes und der unendlichen Zeit einerseits, dem
unendlich Großen und der unendlichen Teilbarkeit andererseits,
wie sie sich bei den Vorläufern Okkams und seinen Nachfolgern
ausgebildet hatte2. Der innere Widerspruch zwischen der End-
lichkeit des aristotelischen Universums und seiner ewigen Dauer
war der Scholastik nicht verborgen geblieben. Wenn die Welt von
Ewigkeit her bestand, warum sollte der Schöpfer nicht unendlich
Großes schaffen können ? Brauchte er doch nur in jedem beliebigen
Teil der unendlichen Zeit einen Körper, z. B. einen Stein von end-
licher Größe zu schaffen; die schließlich^ Summierung dieser
Steine hätte einen unendlich ausgedehnten Körper ergeben. In
anderer Wendung des Gedankens ließ sich auch ein endlicher Zeit-
abschnitt, z. B. eine Stunde, in geometrisch absteigender Proportion
in unendlich viele Teile zerlegen, deren jeder durch einen Schöp-
fungsakt ausgefüllt wurde, um zu demselben Ergebnis zu gelangen,
ln der Tat gab es einzelne Lehrer, wie Johannes de Bassolis, die
mit Hilfe dieser Überlegungen die mathematisch-logischen Argu-
mentationen des Aristoteles über den Haufen warfen und geradezu
die Möglichkeit des Unendlichen in actu zu beweisen versuchten.
Aber die communis opinio der Okkamisten war das nicht3. Okkam
selbst, Buridan und Albert von Sachsen waren viel zu sehr durch-
drungen von der Macht der im Begriff des Unendlichen liegenden
Schwierigkeiten, um die eben genannten Gedankengänge glattweg
anzuerkennen. Außerhalb ihres engeren Kreises stand Gregor von
1 z. B. abbrev. phys. 1. VI, qu. 3 — 4, Bl. 55v ff.
2 Die Entstehungsgeschichte dieser komplizierten Theorien bei Duhem
II, 368-407.
3 So der Ausdruck des Marsilius, lib. sent. I, qu. 42, art. 3 Bl. 180 c.
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