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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1921, 4. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 1: Marsilius von Inghen und die okkamistische Schule in Deutschland — Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.37794#0138
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'138

Gerhard Ritter:

weniger als 12 Jahre dauerte1, während die ,,kursorische“ Bibel-
lektüre des Bakkalars in jedem Jahre 80 Kapitel umfassen sollte.
Danach hätten wir das Musterbeispiel einer theologischen Anfänger-
vorlesung um 1393 vor uns.
Einige einleitende questiuncule über Namen, Heilszweck und
religiöse Autorität der Evangelien und über ihre Stellung im
Rahmen der Heilsgeschichte scheinen selbständig auf gestellt und
beantwortet; doch wird der Matthäuskommentar des Hieronymus2
und noch stärker Augustin benutzt. Es folgt eine Einzelerörterung
(Literalkommentar) des pseudohieronymischen Prologs zu dem
gewöhnlichen Vulgatatext, die sich im allgemeinen mit der ein-
fachsten Wort- und Sinneserklärung begnügt; gelegentlich3 scheint
ein Stück der anselmischen Rechtfertigungslehre hindurch; nirgends
aber erhebt sich die Erörterung über die Tradition hinaus, wie sie
etwa das viel zitierte Muster des Nikolaus von Lyra bieten mochte.
Auch in der anschließenden Erläuterung des eigentlichen Vulgata-
textes findet sich (in dem mir bekannten Teil) nur Traditionelles
vorgebracht; der Kommentar des Hieronymus wird auch hier
stark benutzt; aber weit darüber hinaus hat sich eine große Menge
historischer, „moralischer“ und allegorischer Deutungen in der
Überlieferung aufgehäuft, die nun mit einem deutlichen Geschick
übersichtlicher Gliederung weitergegeben werden. Es ist für den
Nichttheologen kaum möglich, aus alledem eine eigene Linien-
führung oder wenigstens charakteristische Schulmeinungen heraus-
zufinden. Die ängstliche Anlehnung an den Text der Vorlage ist
hier verlassen. Eine Übersicht über die Gesamterzählung des
Matthäus, sein Verhältnis zu den übrigen Evangelisten, die zu-
sammenhängende Erörterung solcher Probleme wie: „Warum ist
die Stammtafel Jesu von Bedeutung?“ u. ä„ auch kurze erbauliche
Betrachtungen über die Heilstat Christi u. dgl. ergänzen den gründ-
lichen Wort- und Sachkommentar. Jede Gelegenheit wird benutzt,
um das kirchliche Dogma, z. B. das von der Inkarnation und der
Doppelnatur des Erlösers, mit biblischen Gründen zu erhärten.
Als Autoritäten erscheinen vorwiegend die schon genannten:
Augustin, Hieronymus und Nikolaus von Lyra. Alles in allem wird
1 U.B.I nr. 126. Heinrich von Langenstein schrieb über die ersten drei
Kapitel der Genesis nicht weniger als 9 Bände!
2 Migne, Patrologia f. 26, sp. 15 ff.
3 Bl. 28v : Sicut transfigendo litera obligationis destruitur, -sic fixiva
manuum et peduum Christi ad crucem obligatio ad penam credentibus est ablata.
 
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