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Gerhard Ritter:
Originals. Es ist auch nicht richtig, daß Prantl seine Wegetheorie,
ja die Gruppierung seines IV. Bandes wesentlich oder gar aus-
schließlich auf die „ganz trübe Quelle“ des Heidelberger manuale
scholarium von 1486/91 aufgebaut habe1, auf das er freilich großen
Wert legt; die enorme Quellenkenntnis des älteren Autors sollte
ihn vor so leichtfertigen Beschuldigungen schützen, zumal gegen-
über einem Schriftsteller, dessen Kenntnisse in der scholastischen
Literatur offensichtlich flüchtig zusammengerafft sind2. Wer „vor
der Benützung des Prantl sehen Werkes nur auf das nachdrück-
lichste warnen“ zu müssen glaubt3, sollte zum mindesten gleich-
wertige Gegenargumente vorzubringen haben. Aber Benary macht
sich die Sache leicht. Weil er aus den Studien Bauchs über den
Erfurter Frühhumanismus gelernt hat, daß ein ausgesprochener
Gegensatz zwischen Humanismus und Scholastik in Erfurt nicht
bestand, glaubt er das Recht zu haben, den Begriff des Humanis-
mus kurzweg über Bord zu werfen; weil er in dem de Wulf sehen
Handbuch keine eindeutige Definition der „Scholastik“ finden kann
(die ja in der Tat als historischer Sammelbegriff nur anschaulich
gemacht, nicht streng logisch definiert werden kann — wie übri-
gens alle historischen Begriffe, die nicht mit formallogischen All-
gemeinbegriffen zusammenfallen) läßt er auch diesen Begriff als
„Schlagwort und gehaltlose Bezeichnung“ glatt zu Boden fallen;
und ähnlich meint er Prantls Glaubwürdigkeit erschüttert zu
haben, wenn er den Zeugenwert seiner angeblichen Hauptquelle,
des manuale scholarium, als zweifelhaft nach weisen kann. Er sucht
die Auseinandersetzungen dieses studentischen Gesprächbüchleins
über den Unterschied der beiden viae, — Erörterungen, die Prantl
als unmittelbarstes Zeugnis des 15. Jahrhunderts für die Durch-
schnittsmeinung des damaligen akademischen Publikums wertete
— einerseits als bloßen „Ulk“ eines nicht ernst zu nehmenden
Spaßvogels, anderseits als versteckte und darum moralisch ver-
werfliche, gegen die Scholastik gerichtete Satire eines humani-
stischen Spötters, mit heimlicher Parteinahme für die via antiqua,
zu deuten. Ich halte diesen Versuch für mißlungen, glaube aber
1 1. c. 47. — Veröffentlicht ist das m. sch. durch Zarncke: Die deut-
schen Universitäten im Mittelalter I, Leipzig 1857.
2 Vgl. s. Abhängigkeit von de Wulf (der aber gleichwohl seinen Fuß-
tritt erhält!), die Bezeichnung der gesamten Dialektik und Rhetorik als
Gegenstand der Trivialschulen (S. 46), sowie meine Ausführungen im Texte
Kap. II 2, b u. 3, a! 3 1. c. 50.
Gerhard Ritter:
Originals. Es ist auch nicht richtig, daß Prantl seine Wegetheorie,
ja die Gruppierung seines IV. Bandes wesentlich oder gar aus-
schließlich auf die „ganz trübe Quelle“ des Heidelberger manuale
scholarium von 1486/91 aufgebaut habe1, auf das er freilich großen
Wert legt; die enorme Quellenkenntnis des älteren Autors sollte
ihn vor so leichtfertigen Beschuldigungen schützen, zumal gegen-
über einem Schriftsteller, dessen Kenntnisse in der scholastischen
Literatur offensichtlich flüchtig zusammengerafft sind2. Wer „vor
der Benützung des Prantl sehen Werkes nur auf das nachdrück-
lichste warnen“ zu müssen glaubt3, sollte zum mindesten gleich-
wertige Gegenargumente vorzubringen haben. Aber Benary macht
sich die Sache leicht. Weil er aus den Studien Bauchs über den
Erfurter Frühhumanismus gelernt hat, daß ein ausgesprochener
Gegensatz zwischen Humanismus und Scholastik in Erfurt nicht
bestand, glaubt er das Recht zu haben, den Begriff des Humanis-
mus kurzweg über Bord zu werfen; weil er in dem de Wulf sehen
Handbuch keine eindeutige Definition der „Scholastik“ finden kann
(die ja in der Tat als historischer Sammelbegriff nur anschaulich
gemacht, nicht streng logisch definiert werden kann — wie übri-
gens alle historischen Begriffe, die nicht mit formallogischen All-
gemeinbegriffen zusammenfallen) läßt er auch diesen Begriff als
„Schlagwort und gehaltlose Bezeichnung“ glatt zu Boden fallen;
und ähnlich meint er Prantls Glaubwürdigkeit erschüttert zu
haben, wenn er den Zeugenwert seiner angeblichen Hauptquelle,
des manuale scholarium, als zweifelhaft nach weisen kann. Er sucht
die Auseinandersetzungen dieses studentischen Gesprächbüchleins
über den Unterschied der beiden viae, — Erörterungen, die Prantl
als unmittelbarstes Zeugnis des 15. Jahrhunderts für die Durch-
schnittsmeinung des damaligen akademischen Publikums wertete
— einerseits als bloßen „Ulk“ eines nicht ernst zu nehmenden
Spaßvogels, anderseits als versteckte und darum moralisch ver-
werfliche, gegen die Scholastik gerichtete Satire eines humani-
stischen Spötters, mit heimlicher Parteinahme für die via antiqua,
zu deuten. Ich halte diesen Versuch für mißlungen, glaube aber
1 1. c. 47. — Veröffentlicht ist das m. sch. durch Zarncke: Die deut-
schen Universitäten im Mittelalter I, Leipzig 1857.
2 Vgl. s. Abhängigkeit von de Wulf (der aber gleichwohl seinen Fuß-
tritt erhält!), die Bezeichnung der gesamten Dialektik und Rhetorik als
Gegenstand der Trivialschulen (S. 46), sowie meine Ausführungen im Texte
Kap. II 2, b u. 3, a! 3 1. c. 50.