Studien zur Spätscholastik. II.
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Lehrer gehörten ihr an. Auch nach dem Abzug der Deutschen
beim Ausbruch des kirchlichen Schismas1 vertraten die glänzend-
sten Häupter der Universität, die neuen Führer der konziliaren
Bewegung, Petrus de Alliaco und Johannes Gerson, den „Nomi-
nalismus“ der Schule Okkams. Nur ist freilich der Nominalismus
Ger so ns von eigener Art, und in seinen Schriften spiegeln sich
die philosophischen und theologischen Gegensätze der Zeit auf
eine so besondere Weise, daß wir einen Augenblick bei ihrer Be-
trachtung verweilen müssen. Das für uns Wesentliche enthalten
die Abhandlungen De modis signijicandi und De concordia meta-
physice cum logica21 die zugleich ein helles Schlaglicht auf den Stand
der Parteigegensätze um 1426 werfen.
Das ganze Interesse Gersons ist auf den Nachweis gerichtet,
daß auch vom Standpunkt der nominalistischen Erkenntnistheorie
eine christliche Metaphysik möglich ist, ja daß die nominalistische
Lehre das unbeirrte Festhalten an den supranaturalen Wahrheiten
des christlichen Dogmas der Vernunft leichter macht, als es der
Realismus vermag. Er betont immer wieder den Dualismus alles
Seins als „Seiendes an sich“ (ens pro natura rei in seipsa) und
als „subjektive Vorstellung“ des menschlichen oder göttlichen
Bewußtseins (prout habet esse objectale seu repraesentativum in
ordine ad intellectum creatum vel increatum) — wobei die Voraus-
setzung des göttlichen Bewußtseins (schon in dieser fundamentalen
Distinktion!) sogleich die Naivetät des erkenntnistheoretischen
Standpunktes zeigt. Dabei ist das „Seiende an sich“ gewisser-
maßen als Stoff oder Substrat der subjektiven Vorstellung (quasi
materia vel substratum vel subiectum rationis obiectalis) zu betrachten:
beide sind notwendig aufeinander bezogen, und in dieser Bezie-
hung liegt der Schlüssel zur Versöhnung im Streit der beiden
erkenntnistheoretischen Schulen: der „Formalisten“ (jormalizantes)
und „Terministen“3.
Alle hierhergehörigen Äußerungen Gersons4 lassen darauf
schließen, daß hier als „Formalisten“ und Gegner der „Termini-
sten“ die Anfänger der skotistischen Metaphysik mit ihrer Über-
fülle subtil erdachter metaphysischer Seinsformen (formalitates)
bezeichnet werden sollen; die Beseitigung dieser „unnützen Kuriosi-
1 S. Studie I, p. 29ff. 2 Opera, ed. Du Pin, tom. IV, ed. 2 (1738),
sp. 816 bezw. 821 ff. Datum: 1426 (sp. 830). Dazu vgl. Prantl IV 141 und
Schwab Joh. Gerson, 293ff. 3 1. c. 821/2. 4 Vgl. insbes. Prantl IV, 144,
N. 595.
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Lehrer gehörten ihr an. Auch nach dem Abzug der Deutschen
beim Ausbruch des kirchlichen Schismas1 vertraten die glänzend-
sten Häupter der Universität, die neuen Führer der konziliaren
Bewegung, Petrus de Alliaco und Johannes Gerson, den „Nomi-
nalismus“ der Schule Okkams. Nur ist freilich der Nominalismus
Ger so ns von eigener Art, und in seinen Schriften spiegeln sich
die philosophischen und theologischen Gegensätze der Zeit auf
eine so besondere Weise, daß wir einen Augenblick bei ihrer Be-
trachtung verweilen müssen. Das für uns Wesentliche enthalten
die Abhandlungen De modis signijicandi und De concordia meta-
physice cum logica21 die zugleich ein helles Schlaglicht auf den Stand
der Parteigegensätze um 1426 werfen.
Das ganze Interesse Gersons ist auf den Nachweis gerichtet,
daß auch vom Standpunkt der nominalistischen Erkenntnistheorie
eine christliche Metaphysik möglich ist, ja daß die nominalistische
Lehre das unbeirrte Festhalten an den supranaturalen Wahrheiten
des christlichen Dogmas der Vernunft leichter macht, als es der
Realismus vermag. Er betont immer wieder den Dualismus alles
Seins als „Seiendes an sich“ (ens pro natura rei in seipsa) und
als „subjektive Vorstellung“ des menschlichen oder göttlichen
Bewußtseins (prout habet esse objectale seu repraesentativum in
ordine ad intellectum creatum vel increatum) — wobei die Voraus-
setzung des göttlichen Bewußtseins (schon in dieser fundamentalen
Distinktion!) sogleich die Naivetät des erkenntnistheoretischen
Standpunktes zeigt. Dabei ist das „Seiende an sich“ gewisser-
maßen als Stoff oder Substrat der subjektiven Vorstellung (quasi
materia vel substratum vel subiectum rationis obiectalis) zu betrachten:
beide sind notwendig aufeinander bezogen, und in dieser Bezie-
hung liegt der Schlüssel zur Versöhnung im Streit der beiden
erkenntnistheoretischen Schulen: der „Formalisten“ (jormalizantes)
und „Terministen“3.
Alle hierhergehörigen Äußerungen Gersons4 lassen darauf
schließen, daß hier als „Formalisten“ und Gegner der „Termini-
sten“ die Anfänger der skotistischen Metaphysik mit ihrer Über-
fülle subtil erdachter metaphysischer Seinsformen (formalitates)
bezeichnet werden sollen; die Beseitigung dieser „unnützen Kuriosi-
1 S. Studie I, p. 29ff. 2 Opera, ed. Du Pin, tom. IV, ed. 2 (1738),
sp. 816 bezw. 821 ff. Datum: 1426 (sp. 830). Dazu vgl. Prantl IV 141 und
Schwab Joh. Gerson, 293ff. 3 1. c. 821/2. 4 Vgl. insbes. Prantl IV, 144,
N. 595.