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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1922, 7. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 2: Via antiqua und via moderna auf den deutschen Universitäten des XV. Jahrhunderts — Heidelberg, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.38041#0029
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Studien zur Spätscholastik. II.

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der „realen“ Disziplinen, insbesondere der Metaphysik, möglich ist.
Wir wissen bereits aus der früheren Betrachtung, daß Gerson mit
dieser Auffassung innerhalb der okkamistischen Schule keineswegs
alleinstand. Die okkamistische Erkenntnislehre hatte längst ihre
gefährliche Zuspitzung verloren. Dennoch sind die alten Bedenken
gegen sie offenbar noch immer nicht ausgestorben; noch immer
scheint der Kampfruf der Gegner zu lauten: reale Sachwissenschaft
contra sermozinale Logik. Wir werden ihn bis zum Ende des Jahr-
hunderts immer wieder ertönen hören.
Was Gerson seinerseits den Gegnern vom andern Lager vor-
wirft, sind im wesentlichen ihre skotistischen „Subtilitäten“, ihre
Willkür in der Hypostasierung logischer Begriffe zu metaphysischen
Bealitäten. Damit verfallen sie einem viel ärgeren Begriffsspiel als
die von ihnen gescholtenen „Terministen“1, komplizieren willkürlich
die echte, einfache aristotelische Logik und verwirren alle Wissen-
schaften, insbesondere die Theologie, durch die grundstürzende Ver-
änderung der herkömmlichen Bezeichnungen. Also hier erscheinen
gerade die „Skotisten“, nicht die „Terministen“, als die Sophisten,
denen die Theologie ihre Überfüllung mit logischen Spitzfindig-
keiten verdankt2.
Nach alledem kann an dem Wesenskern des Gegensatzes, den
Gerson überwinden möchte, kein Zweifel sein: hinter der Ausein-
andersetzung von Beal- und Sermozinalwissenschaften steckt letz-
ten Endes ein Streit um erkenntnistheoretische Grundfragen. Und
dieses Ergebnis bestätigt sich dadurch, daß die ganze Auseinander-
setzung in eine Besprechung des Universalienproblems ausläuft. Die
Behandlung dieses Problems im einzelnen ist durchweg wieder von
theologischen, nicht philosophischen Interessen bestimmt. Sie sucht
zu erweisen, daß der Bealismus leicht zu pantheistischen und damit
ketzerischen Konsequenzen, zu einer Vermischung der Unterschiede
zwischen Gott und Kreatur in dem allgemeinsten Begriff des „Seins“
führe; seine Aufzählung kirchlicher, gegen den extremen Bealis-
1 Beleg bei Prantl IV, 144, N. 595: ipsi longe grandiorgm terminorum
congeriem multiplicare compelluntur.
2 Gerson, Opp. IV, 819ff. Prantl hat das infolge eines Lesefehlers
mißverstanden: 1. c. p. 146, N. 608 liest er: ... dum repugnantes eos vocant
. . . terministas statt repugnantes eis vocant terministas; repugnantes ist also
Akkusativ, nicht Nominativ, und Gerson hält nicht die Terministen, wie
Prantl im Text annimmt, sondern ihre Gegner für Verderber der einfachen
theologischen Wahrheit.
 
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