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Ritter, Gerhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1922, 7. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 2: Via antiqua und via moderna auf den deutschen Universitäten des XV. Jahrhunderts — Heidelberg, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.38041#0031
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Studien zur Spätscholastik. II.

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Über den weiteren Verlauf der Streitigkeiten beider Schul-
richtungen an der Pariser Universität steht uns nur eine höchst
summarische Darstellung zur Verfügung, die im Jahre 1473 von
den Pariser Nominalisten im Rahmen einer apologetischen, für
König Ludwig XI. bestimmten Denkschrift zur historischen Recht-
fertigung ihrer Partei aufgesetzt wurde1. Sie berührt auch die
Kämpfe des 14. Jahrhunderts und bringt die damalige Verfolgung
Okkams an der Pariser Universität mit den kirchenpolitischen
Kämpfen zwischen Johann XXII. und Ludwig dem Raiern in enge
Verbindung; die Art, wie hier Okkam als Vorkämpfer der könig-
lichen Souveränität in temporalibus gegen den Papst gerühmt wird,
ist zu deutlich auf die politischen Wünsche des Adressaten be-
rechnet, als daß uns diese ganze Darstellung unverdächtig erscheinen
könnte2. Wichtig ist indessen, daß hier — deutlicher als bei Gerson
- Wilhelm Okkam als Urheber der „nominalistischen“ Schul-
richtung bezeichnet wird; Johannes Gerson und Petrus de Alliaco
erscheinen als seine Parteigänger. Davon, daß der Name nomi-
nales als Schimpfname oder böswillige Verleumdung der Thomisten
empfunden würde, wie Prantl will3, findet sich keine Andeutung;
er wird vielmehr als ganz passend und selbstverständlich fort-
während gebraucht.
Folgen wir den Angaben dieser Denkschrift, so ging die nomi-
nalistische Lehre in Paris gleichzeitig mit dem allgemeinen Verfall
der Hochschule zurück, als dessen Ursache die seit der Ermordung
des Herzogs von Orleans (November 1407) einsetzenden franzö-
sischen Bürgerkriege bezeichnet werden. Damals hätten sich die
meisten bedeutenden Lehrer zerstreut, und es blieben nur wenige
Albertisten übrig, die, ohne Widerstand zu finden, den Nominalis-
mus beseitigten. Unmöglich erscheint das nicht, wenn man den
trostlosen Zustand bedenkt, in den die Pariser Universität während
jener Jahrzehnte tiefster politischer Schwäche Frankreichs versank,
1 Abdruck bei Stephanus Baluzius, Miscellanea novo ordine digesta.
t. II (Lucae 1761), p. 293ff.
2 Es ist u. a. von ,,4 Artikeln“ die Rede, die laut Auskunft des über
Rectoris von der Artistenfakultät damals als errores Okkam verboten worden
seien, von denen aber der erste gar nicht von Okkam stamme. Ein Cardinal
Johanns XXII. habe nichts daran als ketzerisch zu verdammen gewagt.
Johann XXII. starb 1334. Das Deniflesche Chartularium enthält nichts von
diesen — vermutlich verlorenen — Akten.
3 IV 187. Illi doctores nominales dicti sunt, qui . . . das soll heißen:
böswillig von ihren Gegnern zu Nominalisten gestempelt(!).
 
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