Studien zur Spätscholastik. II.
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Situation etwa Veranlassung geworden sein zu einer Verdächtigung
cler Kölner „Realisten“ wenn auch nicht als Ketzer, so doch als
Anhänger einer Lehre, die mit den höhmischen Ketzereien eine
unter Umständen gefährliche Verwandtschaft besitze ? Die strenge
Kirchlichkeit des Pfälzer Kurfürsten Ludwig scheint das gewöhn-
liche Maß überschritten zu haben. Sein enges Verhältnis zu seiner
Universität, insbesondere zu deren Theologen, die bedeutsame
Rolle, die er auf dem Konstanzer Konzil spielte, der Reformeifer
seiner Heidelberger Theologen, voran des Nikolaus von Jauer —
das alles würde zu der angedeuteten Annahme stimmen; Kurfürst
Ludwig und Erzbischof Dietrich, heißt es in dem Schreiben der
Herren an die Stadt Köln, haben sich bereits vergeblich bei den
Meistern um eine Änderung bemüht. Offenbar war es den Heidel-
bergern gelungen, die kirchlichen Besorgnisse der — in gelehrten
Dingen natürlich unerfahrenen — rheinischen Kurfürsten zu einem
Druck auf die Kölner Universität auszunutzen1. Die Klagen jenes
kurfürstlichen Erlasses über die schwierige „Subtilität“ der reali-
stischen Lehre, das Lob der viel einfacheren und faßlicheren „mo-
dernen“ Doktrin klingen uns merkwürdig bekannt: sie erinnern an
die alten Streitsätze der Pariser Nominalisten gegen die „forma-
listische“ Lehre des doctor subtilis, Duns Scotus; wir kennen sie
längst von Johannes Gerson her.
Natürlich war es für die Kölner Magister nicht schwer, die
Grundlosigkeit der gegen sie erhobenen Beschuldigungen nachzu-
weisen. Sie wiesen vor allem mit Nachdruck auf die für beide
Schulen gemeinsame aristotelische Grundlage des Unterrichts hin.
Von Anfang an habe man in Köln wie anderswo die aristotelischen
Texte zugrunde gelegt und mit quaestiones et dubia circa eosdem
incidentes erläutert. Dabei sei es niemandem verwehrt, neuere
Autoren neben den ältern heranzuziehen: neben dem Aristoteles den
Averroes, Avicenna, Eustatius, Boethius, Themistius, Thomas, Al-
bert, Egid, Buridan oder andere, je nachdem es der behandelten
Materie am besten entspräche. Von dieser Erlaubnis werde auch
ausgiebig Gebrauch gemacht: niemandem sei die via modernorum
verwehrt, und bei der Abfassung von Quästionen (componendj
libros quaestionaliter) pflegten die Kölner Magister sogar sehr häu-
1 Auch die Kölner Universität vermutet, daß hinter der ganzen Aktion
irgendwelche heimlichen informatores litterati stecken und bittet darum, diese
ans Licht zu ziehen; man fühlt ihre Verwunderung, quod, generosi . . . prin-
cipes in hac materia loquuntur, prout clam ab aliis . . . informantur.
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Situation etwa Veranlassung geworden sein zu einer Verdächtigung
cler Kölner „Realisten“ wenn auch nicht als Ketzer, so doch als
Anhänger einer Lehre, die mit den höhmischen Ketzereien eine
unter Umständen gefährliche Verwandtschaft besitze ? Die strenge
Kirchlichkeit des Pfälzer Kurfürsten Ludwig scheint das gewöhn-
liche Maß überschritten zu haben. Sein enges Verhältnis zu seiner
Universität, insbesondere zu deren Theologen, die bedeutsame
Rolle, die er auf dem Konstanzer Konzil spielte, der Reformeifer
seiner Heidelberger Theologen, voran des Nikolaus von Jauer —
das alles würde zu der angedeuteten Annahme stimmen; Kurfürst
Ludwig und Erzbischof Dietrich, heißt es in dem Schreiben der
Herren an die Stadt Köln, haben sich bereits vergeblich bei den
Meistern um eine Änderung bemüht. Offenbar war es den Heidel-
bergern gelungen, die kirchlichen Besorgnisse der — in gelehrten
Dingen natürlich unerfahrenen — rheinischen Kurfürsten zu einem
Druck auf die Kölner Universität auszunutzen1. Die Klagen jenes
kurfürstlichen Erlasses über die schwierige „Subtilität“ der reali-
stischen Lehre, das Lob der viel einfacheren und faßlicheren „mo-
dernen“ Doktrin klingen uns merkwürdig bekannt: sie erinnern an
die alten Streitsätze der Pariser Nominalisten gegen die „forma-
listische“ Lehre des doctor subtilis, Duns Scotus; wir kennen sie
längst von Johannes Gerson her.
Natürlich war es für die Kölner Magister nicht schwer, die
Grundlosigkeit der gegen sie erhobenen Beschuldigungen nachzu-
weisen. Sie wiesen vor allem mit Nachdruck auf die für beide
Schulen gemeinsame aristotelische Grundlage des Unterrichts hin.
Von Anfang an habe man in Köln wie anderswo die aristotelischen
Texte zugrunde gelegt und mit quaestiones et dubia circa eosdem
incidentes erläutert. Dabei sei es niemandem verwehrt, neuere
Autoren neben den ältern heranzuziehen: neben dem Aristoteles den
Averroes, Avicenna, Eustatius, Boethius, Themistius, Thomas, Al-
bert, Egid, Buridan oder andere, je nachdem es der behandelten
Materie am besten entspräche. Von dieser Erlaubnis werde auch
ausgiebig Gebrauch gemacht: niemandem sei die via modernorum
verwehrt, und bei der Abfassung von Quästionen (componendj
libros quaestionaliter) pflegten die Kölner Magister sogar sehr häu-
1 Auch die Kölner Universität vermutet, daß hinter der ganzen Aktion
irgendwelche heimlichen informatores litterati stecken und bittet darum, diese
ans Licht zu ziehen; man fühlt ihre Verwunderung, quod, generosi . . . prin-
cipes in hac materia loquuntur, prout clam ab aliis . . . informantur.