Studien zur Spätscholastik. II.
43
sich in Köln entsprechend seiner via prüfen und promovieren
lassen; eine nähere Erläuterung, wie das gemeint sei, wird nicht
gegeben.
Die Magister können denn auch nicht ganz leugnen, daß
die Lehre des Thomas und Albert — trotz jener angeblichen
Lehrfreiheit — tatsächlich das Kölner Studium beherrscht. Auch
die benachbarten Partikularschulen, sagen sie, sind auf „die hier
übliche Methode“ (via in Colonia currens) eingeübt, und schon
darum ist ihre Abschaffung undurchführbar. Aber das Haupt-
interesse ist doch — und damit blicken wir tiefer in die Substanz
des dortigen Lehrbetriebes hinein — das theologische. Wollte man
den Artisten den heiligen Thomas verbieten, so würde man auch
den Theologen den Zugang zu ihm versperren1. Was sind aber
Buridan, Marsilius und andere simple Artistenmagister (simplices
magistri artiurn) gegen diesen großen Kirchenmann und Gelehrten ?
Nicht ohne leise Ironie wird der Versuch abgetan, den großen
Kirchenheiligen und Dominikanermönch häretisch bedenklicher
Lehren zu bezichtigen. Daß die thomistische Philosophie nicht
schwerer zu lernen sei als die moderne, und daß die hussitische
Ketzerei aus Wiklifs Einfluß und aus nationalen Reibungen, nicht
aber aus dem Realismus zu erklären sei, wird recht eindrucksvoll
nachgewiesen. Nebenbei erfahren wir, daß in Paris seit „etwa 20
Jahren“ — nach vorübergehender Herrschaft des Nominalismus -
ausschließlich die ältere Philosophie thomistischer Richtung gelte
(was ausgezeichnet zu der Pariser Denkschrift von 1473 stimmt);
somit würde ein Verbot des Thomismus nur eine Abwanderung
zahlreicher Scholaren nach Frankreich zur Folge haben.
Es ist zu vermuten, daß diese letzte Warnung auf die Landes-
herren der Universität den stärksten Eindruck gemacht hat und daß
die Hochschule in ihrem Herkommen unbehindert geblieben ist. Für
uns ist vor allem wichtig, daß hiernach der Gegensatz Nominalismus-
Realismus sich schon zu Anfang des Jahrhunderts nach Deutsch-
land übertragen hat und in der natürlichen Rivalität der beiden
rheinischen Hochschulen zum Ausdruck kommt, die später beim
Ausbruch der Streitigkeiten zwischen via moderna und via antiqua
die Hauptrolle spielten. Zugleich wird deutlich, daß die philo-
sophische Kontroverse auf seiten der via antiqua schon in diesem
1 Facultatis artium cum facultate theologiae tarn insolubilis est connexio,
quod per idem valere est prohibere huius doctrinae usum in artibus et in theologia
et permittere in theologia et in artibus.
43
sich in Köln entsprechend seiner via prüfen und promovieren
lassen; eine nähere Erläuterung, wie das gemeint sei, wird nicht
gegeben.
Die Magister können denn auch nicht ganz leugnen, daß
die Lehre des Thomas und Albert — trotz jener angeblichen
Lehrfreiheit — tatsächlich das Kölner Studium beherrscht. Auch
die benachbarten Partikularschulen, sagen sie, sind auf „die hier
übliche Methode“ (via in Colonia currens) eingeübt, und schon
darum ist ihre Abschaffung undurchführbar. Aber das Haupt-
interesse ist doch — und damit blicken wir tiefer in die Substanz
des dortigen Lehrbetriebes hinein — das theologische. Wollte man
den Artisten den heiligen Thomas verbieten, so würde man auch
den Theologen den Zugang zu ihm versperren1. Was sind aber
Buridan, Marsilius und andere simple Artistenmagister (simplices
magistri artiurn) gegen diesen großen Kirchenmann und Gelehrten ?
Nicht ohne leise Ironie wird der Versuch abgetan, den großen
Kirchenheiligen und Dominikanermönch häretisch bedenklicher
Lehren zu bezichtigen. Daß die thomistische Philosophie nicht
schwerer zu lernen sei als die moderne, und daß die hussitische
Ketzerei aus Wiklifs Einfluß und aus nationalen Reibungen, nicht
aber aus dem Realismus zu erklären sei, wird recht eindrucksvoll
nachgewiesen. Nebenbei erfahren wir, daß in Paris seit „etwa 20
Jahren“ — nach vorübergehender Herrschaft des Nominalismus -
ausschließlich die ältere Philosophie thomistischer Richtung gelte
(was ausgezeichnet zu der Pariser Denkschrift von 1473 stimmt);
somit würde ein Verbot des Thomismus nur eine Abwanderung
zahlreicher Scholaren nach Frankreich zur Folge haben.
Es ist zu vermuten, daß diese letzte Warnung auf die Landes-
herren der Universität den stärksten Eindruck gemacht hat und daß
die Hochschule in ihrem Herkommen unbehindert geblieben ist. Für
uns ist vor allem wichtig, daß hiernach der Gegensatz Nominalismus-
Realismus sich schon zu Anfang des Jahrhunderts nach Deutsch-
land übertragen hat und in der natürlichen Rivalität der beiden
rheinischen Hochschulen zum Ausdruck kommt, die später beim
Ausbruch der Streitigkeiten zwischen via moderna und via antiqua
die Hauptrolle spielten. Zugleich wird deutlich, daß die philo-
sophische Kontroverse auf seiten der via antiqua schon in diesem
1 Facultatis artium cum facultate theologiae tarn insolubilis est connexio,
quod per idem valere est prohibere huius doctrinae usum in artibus et in theologia
et permittere in theologia et in artibus.