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Ritter, Gerhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1922, 7. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 2: Via antiqua und via moderna auf den deutschen Universitäten des XV. Jahrhunderts — Heidelberg, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.38041#0046
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Gerhard Ritter:

überall vor, ohne daß man daraus Rückschlüsse auf den Geist der
ganzen Universität ziehen dürfte. Soviel aber scheint erwiesen,
daß in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Erfurt thomi-
stische Theologie in weitem Umfange gelehrt und gelernt wurde,
während gleichzeitig (und zwar ebenfalls im Amplonianum, wie
dessen Bücherbestände noch heute erweisen* 1) logische und physi-
kalische Handbücher der modernen Schule auf das eifrigste benutzt
wurden. Ältere Darsteller haben gemeint, diese thomistischen Ten-
denzen als eine merkwürdige ,,Unterströmung“ der eigentlich okka-
mistischen Erfurter Tradition oder als bedeutungslose Abweichung
vom echten Erfurter Geist auffassen zu müssen2. Benary hat in
berechtigtem, aber allzu radikalem Widerspruch dagegen der Er-
furter Universität jedes nähere Verhältnis zum Okkamismus ab-
gesprochen. Hält man aber die verschiedenen Epochen und Wissens-
disziplinen gehörig auseinander, so bietet das Bild der Erfurter Ver-
hältnisse — im einzelnen noch der Aufhellung bedürftig — dem
historischen Verständnis keine besonderen Schwierigkeiten. Es be-
stätigt nur unseren früheren, schon aus dem Studium des Marsilius
von Inghen gewonnenen Eindruck, daß man auf deutschem Boden
die logische Grundlegung der Philosophie mit den Mitteln der okka-
mistischen Schule nicht ohne weiteres als unvereinbar empfand mit
dem Aufbau einer zu Thomas neigenden Theologie.
Es ist wichtig, sich dieses Schlummern der Gegensätze vor dem
Ausbruch der späteren Kämpfe recht deutlich zu machen, um deren
historische Tragweite richtig einschätzen zu können. Die deutschen
Universitäten im Osten und Norden (Leipzig, Rostock, Greifswald)
haben nach Auskunft ihrer bisher bekannt gewordenen Akten einen
eigentlichen Kampf zwischen via moderna und antiqua überhaupt
nicht erlebt3; der Inhalt der dort überlieferten Lehre ist im ein-
Verdienst Benarys gegenüber der Einseitigkeit früherer Darstellungen. In-
teressant ist besonders der Haß des Amplonius gegen den extremen Realismus
der Prager Ketzereien bei vorwiegend thomistischer Geisteshaltung: als histo-
rische Tatsache eine vorzügliche Widerlegung der 1425 gegen die Kölner
erhobenen Beschuldigungen.
1 Vgl. z. B. die frühen Erfurter Abschriften nach Marsilius von Inghen
in dem Handschriftenverzeichnis meiner I. Studie!
2 Am sonderbarsten wieder Hermelink, Theol. Fak. 194, A. 5, der von
„lautloser Überwindung des Terminismus“ u. dgl. redet.
3 Vgl. für Leipzig die sehr interessanten Mitteilungen von Helssig in:
Beiträge zur Geschichte der Universität Leipzig im 15. Jahrhundert (Fest-
gabe 1909) II, 30/31. — Nach Mitteilung des manuale scholarium (vgl. darüber
 
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