Metadaten

Ritter, Gerhard [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1922, 7. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 2: Via antiqua und via moderna auf den deutschen Universitäten des XV. Jahrhunderts — Heidelberg, 1922

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.38041#0074
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Gerhard Ritter:

74
wir annehmen, daß in der Tat skotistische Anhänger der „modernen“
Schule keine Seltenheit waren* 1. Doch damit erhebt sich sofort eine
weitere Frage. Man kann ganz allgemein in der logisch-philoso-
phischen Literatur des ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahr-
hunderts neben heftigen Streitschriften ein allmählich zunehmendes
Abstumpfen und Verflachen der Parteigegensätze wahrnehmen, das
zum Teil auf der Einsicht beruht, die Gegensätze seien künstlich
übertrieben worden — für solche Erkenntnis dient häufig Joh.
Gerson als Wegweiser —, zum Teil einfach auf dem Absterben jener
philosophischen Motive, die den Gegensatz ursprünglich hervor-
Benarys Polemik an anderen Stellen: Prantls ganze Theorie soll angeblich
„vernichtet“ werden durch den von ihm selbst zitierten Büchertitel: Compen-
dium m. H. de Gorichem . . . academici Montis gymnasarches primi pro eruditione
Neothericorum praememorati montis Coloniae (IV, 220, A. 257). B. faßt diesen
Titel als Beweis dafür auf, daß neotherici, d. h. „Moderne“ auf der zweifellos
thomistischen Montanerburse zu Köln unterrichtet wurden, Thomismus und
moderna via also prinzipiell zusammenfallen konnten (p. 48). Höchst wahr-
scheinlich bedeutet aber neotherici hier gar nicht viam modernam sequentes,
sondern dasselbe wie neophici oder novicii in Anm. 288 auf S. 225, nämlich
einfach „Neulinge“, „Anfänger“ auf der Schule. Somit würde also B.s, nicht
Pr.s „ganze Theorie vernichtet“. Denn auch Petrus Bruxellensis, den B.
als „modernen Thomisten“ auffaßt, ist kein stichhaltiger Zeuge: nicht eine
Normalerscheinung, sondern ein ganz später Eklektiker aus der Zeit des Ab-
flauens der großen Streitigkeiten, überdies in der von Prantl IV, 275, N. 621
zitierten Quelle deutlich als eine Art Konvertit gekennzeichnet, der aus der
via moderna zur antiqua übertrat.
1 Ein besonders deutliches Beispiel dafür, wie schwach der Gegensatz
zwischen Skotismus und Okkamismus empfunden wurde, bietet der Skotist
Nie. Dorbellus (Summula philos. ration. seu logica, Basilee 1494), der mehr-
fach in wichtigen logischen Fragen (Unterschied der suppositio und signi-
ficatio, Definition der suppositio simplex usw.) trotz deren erkenntnis-theoreti-
scher Tragweite die okkamistische Lösung als „forte verior“ gelten läßt (fol. K,
sp. d; K 2, sp. b; K 3, sp. a). — Für die Mittelstellung der Skotisten be-
zeichnend ist auch eine Episode im Löwener Nominalistenstreit (s. o. S. 33):
der Löwener artist. Magister H. de Zomeren wurde 1446 beschuldigt, das in
Löwen bestehende Verbot nominalistisch-okkamistischer Lehren in verschie-
denen Thesen (die sich z. T. wohl auf die futura contingentia bezogen) über-
treten zu haben. Er berief sich darauf, daß diese Sätze skotistisch seien und
demnach als erlaubt zu gelten hätten (Laminne, Bull, de l’acad. royale de
Belgique 1906, p. 384 nach Molanus Hist. Lovan. I 581 ff.). — Die Übernahme
einzelner okkamistischer Begriffe, wie des significatum non Ultimatum und
großer Stücke der „terministischen“ Logik nach Marsilius u. a. fällt sogar bei
ausgesprochenen Gegnern des Okkamismus, wie Petrus Tartaretus auf.
Vgl. über ihn Prantl IV 204ff. und seinen Kommentar ,,In summulas P. HP,
s. 1. 1506 (U. B. Heidelberg), fol. 91a-13 squ., ferner u. S. 92.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften