Gerhard Ritter:
sich schroffer auch gegen die skotistischen formalitates, von denen
im anderen Falle nicht weiter die Rede ist. Und umgekehrt kommt
es vor, daß die Vertreter des Thomismus die metaphysische Be-
deutung der „Formalitäten“ gegenüber den „Nominalisten“ unter-
streichen (wenn sie die Gemeinsamkeit „realistischer“ Ansichten be-
tonen wollen, die zwischen Thomisten und Skotisten gegenüber dem
Okkamismus besteht), daß sie aber gleichwohl außer den „Nomina-
listen“ auch die Skotisten zu ihren Gegnern rechnen. Ein Beispiel
der letzteren Art bietet die Streitschrift des Kölner Thomisten
Petrus Nigri1. So wird das ganze Verhältnis der Schulen gegen-
einander durch die schwankende Stellung des Skotismus mehrfach
kompliziert; und gleichzeitig wird der erkenntnistheoretische Gegen-
satz im Vergleich zum früheren Mittelalter dadurch umgebogen (und
in gewissem Sinne gemildert), daß der spätscholastische Nominalis-
mus nur noch eine rein erkenntnistheoretische, nicht mehr onto-
logische Bedeutung besitzt. Trotz dieser Einschränkungen wird
man aber sagen dürfen, daß die seit Aventin herkömmliche Ab-
leitung der beiden viae aus dem großen Gegensatzpaar Nominalis-
mus und Realismus entgegen der Meinung neuerer Darsteller der
Wahrheit immerhin nahekommt2. Zu beantworten bleibt noch die
Frage, ob der Schulstreit darüber hinaus auch für die Methode und
die Gegenstände des akademischen Unterrichts seine Bedeutung
gehabt hat.
h) Reale und sermozinale Wissenschaft.
Zur Beurteilung der Prantlsehen These von der „wesentlichst
im Lehrstoff begründeten“ Unterscheidung der beiden Schulen steht
1 Hain 11 887 (Münchener St.-B.); Prantl IV 221: Clipeus Thomistarum.
Nigri definiert fol. lla als Merkmale der Nominalisten: a) dicunt, quod omnis
passio et subiectum sola ratione distinguuntur, z. B. bonitas dei et deus (Ablehnung
der realen Bedeutung der formalitates); b) Leugnung der universalia in essendo
c) Behauptung der sermozinalen statt realen Natur des Wissens. — Natürlich
erklärt Prantl auch diesen Autor für einen „äußerst verbissenen, fanatischen
Thomisten“ und „borniertesten Realisten“.
2 Der richtige Sachverhalt scheint immerhin erkennbar durch die huma-
nistisch gefärbte, stark verdunkelte Schilderung Aventins (Opp. III, 1,
p. 200ff.) hindurch. Aventin stellt etwa folgende Streitpunkte heraus: a) reale
contra sermozinale Wissenschaft; b) Identifikation bzw. Unterscheidung von
caecus und caecitas (Problem der formalitates); c) scientia in rebus bzw. in
notionibus vel animi sententiis existens; d) Auffassung der Ideen als selbständig
existierende Wesen (platonisch) bzw. als bloße Fiktionen (stoisch). Okkam
wird als Erneuerer der Stoa bezeichnet — das läßt die humanistischen Vor-
urteile des Verfassers deutlich erkennen.
sich schroffer auch gegen die skotistischen formalitates, von denen
im anderen Falle nicht weiter die Rede ist. Und umgekehrt kommt
es vor, daß die Vertreter des Thomismus die metaphysische Be-
deutung der „Formalitäten“ gegenüber den „Nominalisten“ unter-
streichen (wenn sie die Gemeinsamkeit „realistischer“ Ansichten be-
tonen wollen, die zwischen Thomisten und Skotisten gegenüber dem
Okkamismus besteht), daß sie aber gleichwohl außer den „Nomina-
listen“ auch die Skotisten zu ihren Gegnern rechnen. Ein Beispiel
der letzteren Art bietet die Streitschrift des Kölner Thomisten
Petrus Nigri1. So wird das ganze Verhältnis der Schulen gegen-
einander durch die schwankende Stellung des Skotismus mehrfach
kompliziert; und gleichzeitig wird der erkenntnistheoretische Gegen-
satz im Vergleich zum früheren Mittelalter dadurch umgebogen (und
in gewissem Sinne gemildert), daß der spätscholastische Nominalis-
mus nur noch eine rein erkenntnistheoretische, nicht mehr onto-
logische Bedeutung besitzt. Trotz dieser Einschränkungen wird
man aber sagen dürfen, daß die seit Aventin herkömmliche Ab-
leitung der beiden viae aus dem großen Gegensatzpaar Nominalis-
mus und Realismus entgegen der Meinung neuerer Darsteller der
Wahrheit immerhin nahekommt2. Zu beantworten bleibt noch die
Frage, ob der Schulstreit darüber hinaus auch für die Methode und
die Gegenstände des akademischen Unterrichts seine Bedeutung
gehabt hat.
h) Reale und sermozinale Wissenschaft.
Zur Beurteilung der Prantlsehen These von der „wesentlichst
im Lehrstoff begründeten“ Unterscheidung der beiden Schulen steht
1 Hain 11 887 (Münchener St.-B.); Prantl IV 221: Clipeus Thomistarum.
Nigri definiert fol. lla als Merkmale der Nominalisten: a) dicunt, quod omnis
passio et subiectum sola ratione distinguuntur, z. B. bonitas dei et deus (Ablehnung
der realen Bedeutung der formalitates); b) Leugnung der universalia in essendo
c) Behauptung der sermozinalen statt realen Natur des Wissens. — Natürlich
erklärt Prantl auch diesen Autor für einen „äußerst verbissenen, fanatischen
Thomisten“ und „borniertesten Realisten“.
2 Der richtige Sachverhalt scheint immerhin erkennbar durch die huma-
nistisch gefärbte, stark verdunkelte Schilderung Aventins (Opp. III, 1,
p. 200ff.) hindurch. Aventin stellt etwa folgende Streitpunkte heraus: a) reale
contra sermozinale Wissenschaft; b) Identifikation bzw. Unterscheidung von
caecus und caecitas (Problem der formalitates); c) scientia in rebus bzw. in
notionibus vel animi sententiis existens; d) Auffassung der Ideen als selbständig
existierende Wesen (platonisch) bzw. als bloße Fiktionen (stoisch). Okkam
wird als Erneuerer der Stoa bezeichnet — das läßt die humanistischen Vor-
urteile des Verfassers deutlich erkennen.