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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1922, 7. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 2: Via antiqua und via moderna auf den deutschen Universitäten des XV. Jahrhunderts — Heidelberg, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.38041#0086
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Gerhard Ritter:

hunderts“ nach Roschers Ausdruck) zu nennen, um den Anteil
der Modernen an diesen Dingen ins rechte Licht zu rücken. Aber
auch auf dem Boden des Heidelberger Okkamismus entstand eine
ganze Reihe solcher Schriften1.
Aber — wird man einwenden — unter „realer Wissenschaft“
ist im Sinne des Mittelalters in erster Linie die Metaphysik und
Ethik, nicht die Naturwissenschaft und nicht praktische Lebens-
lum de zu verstehen. Ist nicht der Anteil der „Modernen“ an der
metaphysisch-philosophischen Arbeit wirklich auffallend gering ?
Ist nicht tatsächlich ihr Interesse an diesen Dingen durch ihre
logisch-sophistischen Liebhabereien stark herabgemindert ?
Wir rühren hier an ein Problem von geradezu zentraler Be-
deutung für die Beurteilung der spätmittelalterlichen Philosophie,
und alles kommt darauf an, daß wir hier klare, eindeutige Begriffe
gewinnen. Alle bisherige Geschichtschreibung dieser Philosophie
geht von der Beobachtung aus, daß die Kraft der philosophischen
Spekulation, der theologisch-metaphysischen Systembildung in den
letzten Jahrhunderten des Mittelalters gewaltig nachläßt, und sucht
das zumeist aus der antimetaphysischen Haltung der okkamisti-
schen Erkenntnislehre zu erklären. Die „Modernen“, d. h. die Ok-
kamisten mit ihrem nominalistischen Zweifel an der realen Gültig-
keit der (metaphysischen) Allgemeinbegriffe sollen daran schuld
sein. Sie sollen den Boden unterwühlt haben, auf dem die Hoch-
scholastik ihre imponierenden, labyrinthisch kunstvollen Systeme
errichtet hatte. Der Okkamismus soll die Selbstzersetzung der
Scholastik und damit ihre Überleitung zu modernen Formen und
Inhalten des Denkens bedeuten.
Schon der bisherige Gang unserer Untersuchung hat uns gegen
diese — auf den ersten Blick so einleuchtende — Konstruktion miß-
trauisch gemacht. Wir haben Stück für Stück verfolgt, wie sich
die radikal klingenden, erkenntnistheoretischen Sätze Okkams im
Munde seiner Anhänger immer harmloser gestalteten, wie die okka-
mistische Schule sich an der Pariser Universität nur dadurch be-
haupten konnte, daß der Lehre des venerabilis inceptor die anti-
metaphysischen Giftzähne ausgebrochen wurden. Zwar ein Jo-
1 Vgl. auch die sonstige (bei Überweg-Baumgartner10 624ff. auf-
gezählte) Literatur dieser Art, aber auch die oben (p. 74) erwähnte praktisch-
theologische Schriftstellerei der ersten Heidelberger Lehrer, darunter den
Traktat des Math. v. Krakau De contractibus emptionis und ähnliches-von
Joh. v. Frankfurt (Clm. 11468 u. 18401).
 
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