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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1922, 7. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 2: Via antiqua und via moderna auf den deutschen Universitäten des XV. Jahrhunderts — Heidelberg, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.38041#0087
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Studien zur Spätscholastik. II.

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Hannes Gerson stand fast an der Grenze der Einsicht, die das
stärkste Motiv der originalen Gedankenarbeit Okkams gebildet
hatte: daß die religiöse Erkenntnis ihre eigenen Wurzeln in ganz
anderen Bereichen des Geistes habe, als im natürlichen Intellekt,
und daß ihr die theologisch-metaphysische Spekulation darum mehr
schaden als nützen könne. Wäre dieser Gedanke energisch durch-
geführt worden, so hätte er in der Tat den Tod der Scholastik
herbeiführen können. Aber dazu kam es noch lange nicht. Gerson
selber konnte sich nur mit halber Wendung vor jener innigen Ver-
flechtung religiös-dogmatischer und metaphysisch-logischer Be-
trachtungen losreißen, die den Kern alles scholastischen Denkens
bildete. Auch ihn hielt die das ganze Mittelalter beseelende Hoff-
nung gefangen, den Glauben doch irgendwie durch logisch-meta-
physische Einsicht zu stützen und zu klären. Er zweifelte nicht
an der realen metaphysischen Bedeutsamkeit der abstrahierenden
logischen Begriffsbildung. Und vollends die Untersuchung der
philosophischen und theologischen Schriften des Marsilius von
Inghen hat uns ein ganzes geschlossenes wissenschaftliches System
gezeigt, das auf nominalistischer Basis doch alle wesentlichen Posi-
tionen der hochscholastischen Metaphysik und Theologie behaup-
tete. Ihm zur Seite steht eine stattliche Reihe okkamistischer
Dogmatiker (Sentenziarier): Adam Goddam, Rorert Holkot,
Heinrich von Oyta, Petrus d’Ailly, Gregor von Rimini, Tho-
mas von Strassburg u. a. Von ihren theologischen Werken ist
wenig genug, von einzelnen —- streng genommen — gar nichts be-
kannt. Aber wie sollte es ihnen überhaupt möglich gewesen sein,
ihre theologische Dogmatik zu entwickeln, wenn sie nicht mit
beiden Füßen auf dem altgewohnten Boden der aristotelischen Meta-
physik gestanden hätten1 ?

1 Daß die Okkamisten nicht ohne weiteres Okkam gleichgestellt werden
dürfen, ist von Hermelink (Handb. d. K. G. II, 188/9) richtig erfaßt. Er
sucht der wirklichen Sachlage durch Scheidung von 3 Gruppen der okkami-
stischen Schule gerecht zu werden: a) formale Logiker und Erkenntnistheore-
tiker (ohne stärkere theolog. Interessen): Buridan, R. Holkot, Marsilius, Albert
v. Sachsen, Heinrich v. Langenstein, H. v. Oyta, Nikol. Oresmius u. a.;
b) mystisch-praktisch gerichtete Theologen von streng kirchlich korrekter
Haltung: Gerson, P. d’Ailly, Gregor v. Rimini; c) radikale, z. T. durch Augu-
stin beeinflußte Kritiker des kirchlich-scholastischen Rationalismus: Thomas
v. Bradwardina, N. d’Autrecourt, Joh. v. Mirecou't. — Dazu ist zu sagen:
1. Über die Vertreter der Gruppe a) ist bisher viel zu wenig bekannt, um sie
auf einen Generalnenner bringen zu können. Die traditionelle Vorstellung
 
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