104
Gerhard Ritter:
laut des Aristoteles ohne Zusätze neuerer Erklärer, folgen ihm in
der Ordnung und Kürze des Gedankengangs und vermeiden die
Weitschweifigkeit des neue en Quästionenwesens und der Kom-
mentare. Die andern emanzipieren sich stärker von der Vorlage
und legen den Hauptwert auf eine selbständige und klare Ver-
arbeitung der aristotelischen Gedanken1. Die bekannten beiden
Grundformen mittelalterlichen Kommentierens: der modus exposi-
tionis und der modus quaest onum sind als zwei verschiedene Lehr-
methoden einander gegenübergestellt.
Ist das die richtige Deutung unserer Quelle, und enthält diese
hinter ihrem oratorischen Phrasenschwall einen Kern sachlich zu-
treffender Beschreibung, so wären damit zunächst nur die all-
gemeinen methodischen Grundsätze der beiden Schulen klargelegt.
Es bleibt die Frage, wie sich die praktische Durchführung dieser
Prinzipien im akademischen Lehrbetrieb gestaltet habe. Ich ge-
stehe, daß ich darauf keine ganz sichere Antwort zu geben weiß.
Es ist überaus schwer, sich aus den vorliegenden Quellen ein
genaues Bild von dieser Praxis zu machen. Vergeblich fragt man
die Akten der Universität danach. Sie handeln immer nur davon,
wie es gemacht werden soll und überlassen außerdem weitaus das
Meiste der lebendigen mündlichen Lehrtradition. Die Heidelberger
Statutenreformen fordern vor 1452 immer dasselbe, was im Kern
schon die älteste Fassung verlangt: die Vorlesung soll nicht in
Diktieren ausarten, der Text soll Wort für Wort und deutlich
vorgelesen werden, damit die Scholaren folgen und ihre eigenen
Texte verbessern können, der Magister soll den Inhalt „nach Art
der üblichen Kommentare“ erläutern, dabei sollen die üblichen ver-
anschaulichenden Figuren wirklich verwendet werden; bei der Er-
läuterung der aristotelischen Logik und Physik sollen Quästionen,
bei der Lektüre der summula Quästionen und Sophismata auf-
\gestellt und erörtert werden2. Nach der Einführung der via antiqua,
i. J. 1464, wird noch besonders bestimmt, daß die Hauptvorlesungen
1 Vgl. hierzu auch den Vorwurf, den Enea Sylvio den Wiener Uni-
versitätslehrern macht (in Wien herrschte die ria moderna!): Qui libros Äri-
stolelis et aliorum philosophorum habeant, raro invenies, commentariis plerumque
utuntur. (in: Descriptio urbis Viennensis, in den älteren Ausgaben der Epi-
stolae Nr. 165, in der Neuausgabe durch R. Wolkan — Fontes rer. Austr.
II. Abt., Bd. 61 — Nr. 27). — Enea, der Humanist, darf freilich nicht als klas-
sischer Zeuge für scholastische Parteiverhältnisse gelten; vielleicht hätte er
denselben Vorwurf auch gegen die Neuthomisten, erhoben.
2 U. B. I, p. 36, 41 (ältestes Statut); ibid. 152 (1444).
Gerhard Ritter:
laut des Aristoteles ohne Zusätze neuerer Erklärer, folgen ihm in
der Ordnung und Kürze des Gedankengangs und vermeiden die
Weitschweifigkeit des neue en Quästionenwesens und der Kom-
mentare. Die andern emanzipieren sich stärker von der Vorlage
und legen den Hauptwert auf eine selbständige und klare Ver-
arbeitung der aristotelischen Gedanken1. Die bekannten beiden
Grundformen mittelalterlichen Kommentierens: der modus exposi-
tionis und der modus quaest onum sind als zwei verschiedene Lehr-
methoden einander gegenübergestellt.
Ist das die richtige Deutung unserer Quelle, und enthält diese
hinter ihrem oratorischen Phrasenschwall einen Kern sachlich zu-
treffender Beschreibung, so wären damit zunächst nur die all-
gemeinen methodischen Grundsätze der beiden Schulen klargelegt.
Es bleibt die Frage, wie sich die praktische Durchführung dieser
Prinzipien im akademischen Lehrbetrieb gestaltet habe. Ich ge-
stehe, daß ich darauf keine ganz sichere Antwort zu geben weiß.
Es ist überaus schwer, sich aus den vorliegenden Quellen ein
genaues Bild von dieser Praxis zu machen. Vergeblich fragt man
die Akten der Universität danach. Sie handeln immer nur davon,
wie es gemacht werden soll und überlassen außerdem weitaus das
Meiste der lebendigen mündlichen Lehrtradition. Die Heidelberger
Statutenreformen fordern vor 1452 immer dasselbe, was im Kern
schon die älteste Fassung verlangt: die Vorlesung soll nicht in
Diktieren ausarten, der Text soll Wort für Wort und deutlich
vorgelesen werden, damit die Scholaren folgen und ihre eigenen
Texte verbessern können, der Magister soll den Inhalt „nach Art
der üblichen Kommentare“ erläutern, dabei sollen die üblichen ver-
anschaulichenden Figuren wirklich verwendet werden; bei der Er-
läuterung der aristotelischen Logik und Physik sollen Quästionen,
bei der Lektüre der summula Quästionen und Sophismata auf-
\gestellt und erörtert werden2. Nach der Einführung der via antiqua,
i. J. 1464, wird noch besonders bestimmt, daß die Hauptvorlesungen
1 Vgl. hierzu auch den Vorwurf, den Enea Sylvio den Wiener Uni-
versitätslehrern macht (in Wien herrschte die ria moderna!): Qui libros Äri-
stolelis et aliorum philosophorum habeant, raro invenies, commentariis plerumque
utuntur. (in: Descriptio urbis Viennensis, in den älteren Ausgaben der Epi-
stolae Nr. 165, in der Neuausgabe durch R. Wolkan — Fontes rer. Austr.
II. Abt., Bd. 61 — Nr. 27). — Enea, der Humanist, darf freilich nicht als klas-
sischer Zeuge für scholastische Parteiverhältnisse gelten; vielleicht hätte er
denselben Vorwurf auch gegen die Neuthomisten, erhoben.
2 U. B. I, p. 36, 41 (ältestes Statut); ibid. 152 (1444).