Studien zur Spätscholastik. II.
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Indessen bin ich mir bewußt, daß diese ganze Auffassung der
Sachlage vorläufig noch auf zu schmaler Quellenbasis ruht, um
bereits als erwiesen zu gelten. Es käme für die weitere Forschung
darauf an, noch mehr zuverlässige Nachrichten (seien es statu-
tarische Bestimmungen oder Nachschriften aus Vorlesungen) über
die Unterrichtsmethode der via antiqua zu gewinnen, um beurteilen
zu können, ob wirklich ihre artistischen Vorlesungen sich auf eine
strenge und ausschließliche Erläuterung der aristotelischen Texte
beschränkten.
Noch dunkler, zugleich aber historisch weit bedeutsamer ist
die Frage, ob etwa auch für die oberen Fakultäten die Reaktions-
bewegung der via antiqua eine ähnliche Reform der Unterrichts-
methode erstrebt und praktisch durchgeführt habe. Man kennt die
Bemühungen eines Ulrich Zasius, die scholastische Rechts-
tradition von scholastischen Schnörkeln und Entstellungen, von
dem Wust der Kommentare zu befreien und auf die originalen
Quellen des römischen Rechts zurückzugehen1. Sachlich mögen
sie eine Parallele zu den eben besprochenen Reformbestrebungen
der Artisten bilden — historisch ist ihr Zusammenhang mit den
Ideen des Humanismus viel wahrscheinlicher als mit denen der
via antiqua. Er bedürfte einer eigenen Untersuchung. Die Rechts-
wissenschaft hat — nach dem Urteil der berufensten Kenner -
im Ganzen der Scholastik von jeher ihren eigenen, mit den übrigen
Disziplinen nicht immer parallelen Entwicklungsgang genommen.
Aufs engste mit den artistischen Studien verschwistert war da-
gegen die Theologie, und gerade die Thomisten legten auf diesen
Zusammenhang — wir hörten es schon — den größten Wert. Hat
die Erneuerung des Thomismus dazu beigetragen, die Methode
der biblischen Exegese zu vereinfachen, mehr auf religiöse als auf
logisch-philosophische Probleme hinzulenken und das Studium der
biblischen Schriften überhaupt wieder mehr in den Vordergrund
der theologischen Interessen zu rücken ? Daß solche Bestrebungen
damals kräftig im Gange waren, ist unzweifelhaft. Ihr berühm-
tester Vertreter war der Karthäuser Dionysius Rickel2, der ja gleich-
zeitig die philosophisch-theologischen Systeme der Idochscholastik
im größten Umfang erneuerte. Auch an der Heidelberger Hoch-
schule waren diese Reformtendenzen lebendig; wir hörten den
Theologen Johannes Wenck auf das eifrigste dafür eintreten3.
1 Ygl. etwa Stintzing, Ulrich Zasius, p. 100ff. 2 Vgl. Mougel, Dio-
nysius d. Karthäuser (deutsche Ausgabe), 31 f. 3 Ich habe dessen hierher-
gehörige Äußerungen oben p. 52 f. möglichst ausführlich zitiert.
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Indessen bin ich mir bewußt, daß diese ganze Auffassung der
Sachlage vorläufig noch auf zu schmaler Quellenbasis ruht, um
bereits als erwiesen zu gelten. Es käme für die weitere Forschung
darauf an, noch mehr zuverlässige Nachrichten (seien es statu-
tarische Bestimmungen oder Nachschriften aus Vorlesungen) über
die Unterrichtsmethode der via antiqua zu gewinnen, um beurteilen
zu können, ob wirklich ihre artistischen Vorlesungen sich auf eine
strenge und ausschließliche Erläuterung der aristotelischen Texte
beschränkten.
Noch dunkler, zugleich aber historisch weit bedeutsamer ist
die Frage, ob etwa auch für die oberen Fakultäten die Reaktions-
bewegung der via antiqua eine ähnliche Reform der Unterrichts-
methode erstrebt und praktisch durchgeführt habe. Man kennt die
Bemühungen eines Ulrich Zasius, die scholastische Rechts-
tradition von scholastischen Schnörkeln und Entstellungen, von
dem Wust der Kommentare zu befreien und auf die originalen
Quellen des römischen Rechts zurückzugehen1. Sachlich mögen
sie eine Parallele zu den eben besprochenen Reformbestrebungen
der Artisten bilden — historisch ist ihr Zusammenhang mit den
Ideen des Humanismus viel wahrscheinlicher als mit denen der
via antiqua. Er bedürfte einer eigenen Untersuchung. Die Rechts-
wissenschaft hat — nach dem Urteil der berufensten Kenner -
im Ganzen der Scholastik von jeher ihren eigenen, mit den übrigen
Disziplinen nicht immer parallelen Entwicklungsgang genommen.
Aufs engste mit den artistischen Studien verschwistert war da-
gegen die Theologie, und gerade die Thomisten legten auf diesen
Zusammenhang — wir hörten es schon — den größten Wert. Hat
die Erneuerung des Thomismus dazu beigetragen, die Methode
der biblischen Exegese zu vereinfachen, mehr auf religiöse als auf
logisch-philosophische Probleme hinzulenken und das Studium der
biblischen Schriften überhaupt wieder mehr in den Vordergrund
der theologischen Interessen zu rücken ? Daß solche Bestrebungen
damals kräftig im Gange waren, ist unzweifelhaft. Ihr berühm-
tester Vertreter war der Karthäuser Dionysius Rickel2, der ja gleich-
zeitig die philosophisch-theologischen Systeme der Idochscholastik
im größten Umfang erneuerte. Auch an der Heidelberger Hoch-
schule waren diese Reformtendenzen lebendig; wir hörten den
Theologen Johannes Wenck auf das eifrigste dafür eintreten3.
1 Ygl. etwa Stintzing, Ulrich Zasius, p. 100ff. 2 Vgl. Mougel, Dio-
nysius d. Karthäuser (deutsche Ausgabe), 31 f. 3 Ich habe dessen hierher-
gehörige Äußerungen oben p. 52 f. möglichst ausführlich zitiert.