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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1922, 7. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 2: Via antiqua und via moderna auf den deutschen Universitäten des XV. Jahrhunderts — Heidelberg, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.38041#0108
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108

Gerhard Ritter:

Die Frage ist nur: einmal, ob und wie weit sie praktischen Erfolg
hatten, und zum andern, ob wir sie ohne weiteres der via antiqua
zugute rechnen dürfen. Ähnliche Reformideen tauchten ja seit
langem immer wieder von Zeit zu Zeit auf; schon Johannes
Gerson — aus dem Lager der Modernen — hatte sie verfochten.
Die innerkatholischen Reformbestrebungen des nachkonziliaren
Zeitalters brachten sie jetzt wieder obenauf. Standen etwa die
„modernen“ Theologen diesen Anschauungen grundsätzlich fern?
Die Frage wird besser an späterer Stelle zu erörtern sein, wenn wir
das Verhältnis der via antiqua zur Reform der Theologie und Kirche
überhaupt, nicht nur ihre Bedeutung für die Methode der Bibel-
exegese, betrachten werden1. Über die Praxis der exegetischen
Bibelvorlesungen aber fehlt es in Heidelberg für die zweite Hälfte
des 15. Jahrhunderts durchaus an zureichenden Nachrichten; die
Bruchstücke kommentierender Schriftstellerei, die wir von Jo-
hannes Wenck kennen, ermöglichen keinen rechten Vergleich mit
seinen Vorgängern. Im ganzen überwiegt hier wie in aller exegeti-
schen Literatur der Scholastik so stark dieMasse des traditionellen
Stoffes, daß es für den Nichtfachmann kaum möglich ist, feinere
LInterschiede herauszufinden. Nur eine ebenso umfassende wie
tief eindringende Geschichte der scholastischen Bibelexegese könnte
hier weiter helfen.
Drucke spätscholastischer Bibelkommentare aus der zweiten
Hälfte des 15. Jahrhunderts sind sehr selten. Vermutlich eben des-
halb, weil hier vor dem Auftreten der Humanisten kein bemerkens-
werter wissenschaftlicher Fortschritt stattfand; um so massen-
hafter sind die logischen, naturphilosophischen, ethischen und meta-
physischen Schulschriften dieser Epoche gedruckt worden, und es
empfiehlt sich, unsere bisher gewonnene Ansicht von der Unter-
richtsmethode der via antiqua an dieser Literatur nachzuprüfen.
Bieten die Lehrbücher auch nicht ein einfaches Abbild des akade-
mischen Unterrichts, so dürften wir es doch als eine willkommene
Bestätigung unserer oben ausgesprochenen Vermutungen betrach-
ten, falls sich etwa ergeben sollte, daß die Kompendien der via
antiqua im Durchschnitt eine knappere, sachlichere Texterklärung
aufweisen, als die der „Modernen“.
Soweit mir nun ein Studium dieser Literatur möglich war,
vermag ich zu keinem ganz eindeutigen Ergebnis zu gelangen. In
der Tat finden sich nicht wenige neuthomistische und neuskoti-
1 Vgl. unten Abschnitt 3C.
 
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