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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1922, 7. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 2: Via antiqua und via moderna auf den deutschen Universitäten des XV. Jahrhunderts — Heidelberg, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.38041#0126
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126

Gerhard Ritter:

stisch gestimmten Scholastikern in Köln oder Löwen studiert hatte,
mußte natürlich die Elemente der realistischen Philosophie in sich
aufgenommen haben und behielt sie vielleicht zeitlebens, ohne ihnen
darum die humanistischen Inhalte seiner Bildung zu verdanken.
Daß die ,,devotio moderna“, die man auf den Schulen der „Brüder
vom gemeinsamen Leben“, diesen Pflanzstätten des niederländi-
schen Humanismus, pflegte, im Gegenteil jede Bindung an eine
der scholastischen Parteien ablehnte, werden wir im folgenden
Kapitel sehen. Rudolf Agricola, dessen Deutung des Universalien-
problems die realistische Schulung recht wohl erkennen läßt, be-
zeugt doch auf jeder Seite seiner inventio dialectica, wie weit er sich
über die traditionellen Schulstreitigkeiten erhaben glaubt. Aber
auch der Humanismus der oberdeutschen antiqui bedarf zu seiner
Erklärung nicht der Hypothese Hermelinks: daß er durch die
Ideen der via antiqua erzeugt oder mindestens geistig vorbereitet
sei. Notwendig jedenfalls ist eine solche Vorbereitung nicht ge-
wesen, um den humanistischen Bildungsidealen den Zutritt zu den
oberdeutschen Universitäten zu eröffnen. Alle neueren Forschun-
gen über das Eindringen des Humanismus an den deutschen Uni-
versitäten zeigen immer wieder, daß die erbitterten Kämpfe zwi-
schen Scholastikern und Poeten, von denen die gekränkte Eitel-
keit der humanistischen Literatur so viel zu berichten weiß, in
Wahrheit — abgesehen von der Dunkelmännerfehde — nur in sehr
beschränktem Umfang stattgefunden haben und sich fast nirgends
als prinzipielle Kontroversen darstellen, sondern sich entweder um
Gehalts- und Examensfragen drehen oder auf gehässige Invek-
tiven der Reformer zurückgehen oder endlich mit der Tatsache Zu-
sammenhängen, daß der Humanismus mit seinen rhetorisch-poeti-
schen Liebhaberkünsten nicht ohne weiteres sich als Ersatz für die
althergebrachten philosophischen und naturwissenschaftlichen Stu-
dien verwerten ließ1. Das humanistische Latein, die Künste des
Verseschmiedens, des ciceronischen Brief- und Redestils und das
Studium des Griechischen und Hebräischen drangen fast geräusch-
los, zum Teil schon seit der Mitte des 15. Jahrhunderts, auf den
Universitäten ein, und keineswegs nur auf denen, die der via anti-
1 Zu nennen sind vor allem die verschiedenen Schriften G. Bauchs, der
das Material mit großem Fleiße zusammenträgt, ohne freilich immer die
richtige Einsicht daraus zu gewinnen. Die im Text vorgetragene Auffassung
ähnlich schon in Paulsens Gesch. d. gelehrten Unterrichts I und Kaufmanns
Gesch. d. dtsch. Universit. II.
 
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