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Gerhard Ritter:
als veraltet aufhob. Ähnlich war es überall: je mehr der Humanis-
mus mit seiner neuen Ideenrichtung an den deutschen Universi-
täten vordrang, um so schneller verlor sich das Interesse an dem
ganzen Schulstreit der Realisten und Nominalisten. Nichts kenn-
zeichnet stärker die geistige Unfruchtbarkeit der neuthomistischen
Reaktionsbewegung, als dieses schnelle Verwelken. Wir haben in
einem früheren Zusammenhang den zunehmenden Eklektizismus
in der Lehrbuchliteratur der beiden Schulen gegen Ende des Jahr-
hunderts besprochen (s. o. S. 74f.). Er steht vermutlich mit dem
Vordringen des Humanismus in innerem Zusammenhang.
Mit alledem dürfte erwiesen sein, daß die bloße Tatsache per-
sönlicher Beziehungen zwischen via antiqua und Humanismus noch
nichts über deren innere sachliche Zusammengehörigkeit aussagt,
sondern sich zwanglos aus der allgemeinen Lage des akademischen
Lebens in Deutschland erklären läßt. Trotz dieser Einsicht und
trotz unserer früheren Feststellung, daß tiefere sachliche Zusammen-
hänge zwischen beiden Strömungen sich in der Tat nicht finden
lassen, bleibt aber nun die Möglichkeit bestehen, daß eine mehr
äußere, rein psychologisch zu wertende Verknüpfung zwischen ihnen
in einzelnen Fällen bestand. Man müßte etwa das Leben des Magi-
sters Heynlin vom Stein genauer studieren, um zu ermitteln, ob
vielleicht dessen großer Eifer als Reformator der Baseler Univer-
sität im Sinne der via antiqua psychologisch mit dazu beigetragen
hat, ihn zugleich für die Neuerungen des Humanismus leichter zu-
gänglich zu machen. Mehr als eine ganz äußerliche, als zufällig zu
wertende Verbindungslinie würde dabei jedoch schwerlich sichtbar
werden. Eine gewisse äußere Berührung der humanistischen und
neuthomistischen Reformideen scheint ja auch in Heidelberg statt-
gefunden zu haben: bei der großen Reformation der Universität
von 1452 und der Einführung der via antiqua. Aber auch da liegt
der kausale Zusammenhang, den wir konstruieren konnten, nicht
so, wie ihn Hermelink sich denkt, sondern umgekehrt : nicht die
via antiqua half dem Humanismus zum Leben, sondern dieser
scheint — wenn unsere Vermutung recht behält — seinerseits die
längst bestehenden neuthomistischen Strömungen gefördert zu
haben1. Die Bildung der für den Humanismus interessierten Ju-
1 S. o. p. 103ff. Hermelink stützt sich für die Darstellung der Vor-
gänge von 1452 auf einen halbpopulären Aufsatz Hartfelders in der Zeitschr.
für allg. Gesch. II 177ff. und greift dessen Behauptung auf, die Humanisten
auf der Plassenburg hätten die Einführung der via antiqua als einen Sieg ihrer
Gerhard Ritter:
als veraltet aufhob. Ähnlich war es überall: je mehr der Humanis-
mus mit seiner neuen Ideenrichtung an den deutschen Universi-
täten vordrang, um so schneller verlor sich das Interesse an dem
ganzen Schulstreit der Realisten und Nominalisten. Nichts kenn-
zeichnet stärker die geistige Unfruchtbarkeit der neuthomistischen
Reaktionsbewegung, als dieses schnelle Verwelken. Wir haben in
einem früheren Zusammenhang den zunehmenden Eklektizismus
in der Lehrbuchliteratur der beiden Schulen gegen Ende des Jahr-
hunderts besprochen (s. o. S. 74f.). Er steht vermutlich mit dem
Vordringen des Humanismus in innerem Zusammenhang.
Mit alledem dürfte erwiesen sein, daß die bloße Tatsache per-
sönlicher Beziehungen zwischen via antiqua und Humanismus noch
nichts über deren innere sachliche Zusammengehörigkeit aussagt,
sondern sich zwanglos aus der allgemeinen Lage des akademischen
Lebens in Deutschland erklären läßt. Trotz dieser Einsicht und
trotz unserer früheren Feststellung, daß tiefere sachliche Zusammen-
hänge zwischen beiden Strömungen sich in der Tat nicht finden
lassen, bleibt aber nun die Möglichkeit bestehen, daß eine mehr
äußere, rein psychologisch zu wertende Verknüpfung zwischen ihnen
in einzelnen Fällen bestand. Man müßte etwa das Leben des Magi-
sters Heynlin vom Stein genauer studieren, um zu ermitteln, ob
vielleicht dessen großer Eifer als Reformator der Baseler Univer-
sität im Sinne der via antiqua psychologisch mit dazu beigetragen
hat, ihn zugleich für die Neuerungen des Humanismus leichter zu-
gänglich zu machen. Mehr als eine ganz äußerliche, als zufällig zu
wertende Verbindungslinie würde dabei jedoch schwerlich sichtbar
werden. Eine gewisse äußere Berührung der humanistischen und
neuthomistischen Reformideen scheint ja auch in Heidelberg statt-
gefunden zu haben: bei der großen Reformation der Universität
von 1452 und der Einführung der via antiqua. Aber auch da liegt
der kausale Zusammenhang, den wir konstruieren konnten, nicht
so, wie ihn Hermelink sich denkt, sondern umgekehrt : nicht die
via antiqua half dem Humanismus zum Leben, sondern dieser
scheint — wenn unsere Vermutung recht behält — seinerseits die
längst bestehenden neuthomistischen Strömungen gefördert zu
haben1. Die Bildung der für den Humanismus interessierten Ju-
1 S. o. p. 103ff. Hermelink stützt sich für die Darstellung der Vor-
gänge von 1452 auf einen halbpopulären Aufsatz Hartfelders in der Zeitschr.
für allg. Gesch. II 177ff. und greift dessen Behauptung auf, die Humanisten
auf der Plassenburg hätten die Einführung der via antiqua als einen Sieg ihrer