Der Astragal des Sotades.
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Diese sind’s, die Wolken, die in den Gärten des Vaters Okeanos
den heiligen Chor tanzen, und weil — so wollen wir wenigstens vor-
läufig deuten — Hephaest im gleichen Bereich zu Gast ist, mag
es ihn gelüstet haben, sich von den Nachbarinnen vor seiner Werk-
statt etwas vortanzen zu lassen.
Die Einheit der dichterischen Vorstellung bei Aristophanes und
Sotades scheint mir so schlagend, daß ich es beinahe für unnötig
halte, die von M. Mayer und Six vorgeschlagene Deutung auf die
aOpca besonders zu widerlegen. Unnötig und — aussichtslos. Denn,
so wenig es gelingt aus den zahlreichen Darstellungen von ,,Horen“
des älteren Stils die besonderen Vorstellungen von Chariten, Nym-
phen, Musen zu sondern, wenn uns nicht eine inschriftliche Erklä-
rung zu Hilfe kommt, weil alle diese Vereine zarter Vegetations-
dämonen der personifizierenden Poesie des Mythus in der all-
gemeinen Welt religiöser Ahnung belassen wurden, die eine deutliche
Individualisierung gar nicht erstrebte1, so wenig ist hier vom Künst-
ler eine Präzision seiner Figuren zu verlangen, die ihrem Gattungs-
charakter zuwiderläuft. Das ist ja der Unterschied zwischen grie-
chischer Naturpersonifikation und Allegorie des Barock, wie sie am
bewußtesten in den großen Deckenfresken der Kirchen des 18. Jahr-
hunderts2 zu Wort kommt: In dieser wird an den wissenden und
gelehrten Verstand appelliert, in jener die Phantasie zur Ahnung
einer höheren Einheit angeregt. Jene verengt die von der Kunst
geschaffene Vorstellung und logisiert sie, diese erweitert sie zur
allgemeinen Empfindung des Göttlichen in der begrenzten Welt.
Indes, es gibt doch einen Weg unsere Nephelai von den Dar-
stellungen der αύροα abzugrenzen, wenn wir es auch ablehnen, eine
besondere Individualität der einzelnen Figur zu begehren. Das Mit-
tel freilich aus den aurae velificantes des Plinius rückwärts bis in
unseren Stil zu schließen, muß deshalb versagen, weil die velificatio
als erst vom großen Stil des V. Jahrhunderts ausgebildetes Kunst-
mittel unserem Astragal vorausliegt. Die Aurae3 sind Einzel-
1 Siehe auch die gelegentlichen Bemerkungen in der gedankenreichen
Dissertation von Friedr. Matz, Die Naturpersonifikationen in der griechischen
Kunst, Göttingen 1913, S. 16, 81.
2 Siehe A. Feulner, Münchener Jahrb. d. bild. Kunst X, 1916/7, S. 77 ff.
3 Ich kann die von Petersen, Ara Pacis, S. 52, auch von Studniczka,
Zur Ara Pacis, S. 929, gebilligte Erklärung der Seitenfiguren des Tellusreliefs
auf aurae velificantes nicht für gesichert ansehen, obwohl ich nicht gerne die
Bundesgenossenschaft von Gardthausen, Der Altar des Kaiserfriedens, S.15,
beanspruche, der die klare Weiblichkeit des Mädchens auf dem κήτος verkennt
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Diese sind’s, die Wolken, die in den Gärten des Vaters Okeanos
den heiligen Chor tanzen, und weil — so wollen wir wenigstens vor-
läufig deuten — Hephaest im gleichen Bereich zu Gast ist, mag
es ihn gelüstet haben, sich von den Nachbarinnen vor seiner Werk-
statt etwas vortanzen zu lassen.
Die Einheit der dichterischen Vorstellung bei Aristophanes und
Sotades scheint mir so schlagend, daß ich es beinahe für unnötig
halte, die von M. Mayer und Six vorgeschlagene Deutung auf die
aOpca besonders zu widerlegen. Unnötig und — aussichtslos. Denn,
so wenig es gelingt aus den zahlreichen Darstellungen von ,,Horen“
des älteren Stils die besonderen Vorstellungen von Chariten, Nym-
phen, Musen zu sondern, wenn uns nicht eine inschriftliche Erklä-
rung zu Hilfe kommt, weil alle diese Vereine zarter Vegetations-
dämonen der personifizierenden Poesie des Mythus in der all-
gemeinen Welt religiöser Ahnung belassen wurden, die eine deutliche
Individualisierung gar nicht erstrebte1, so wenig ist hier vom Künst-
ler eine Präzision seiner Figuren zu verlangen, die ihrem Gattungs-
charakter zuwiderläuft. Das ist ja der Unterschied zwischen grie-
chischer Naturpersonifikation und Allegorie des Barock, wie sie am
bewußtesten in den großen Deckenfresken der Kirchen des 18. Jahr-
hunderts2 zu Wort kommt: In dieser wird an den wissenden und
gelehrten Verstand appelliert, in jener die Phantasie zur Ahnung
einer höheren Einheit angeregt. Jene verengt die von der Kunst
geschaffene Vorstellung und logisiert sie, diese erweitert sie zur
allgemeinen Empfindung des Göttlichen in der begrenzten Welt.
Indes, es gibt doch einen Weg unsere Nephelai von den Dar-
stellungen der αύροα abzugrenzen, wenn wir es auch ablehnen, eine
besondere Individualität der einzelnen Figur zu begehren. Das Mit-
tel freilich aus den aurae velificantes des Plinius rückwärts bis in
unseren Stil zu schließen, muß deshalb versagen, weil die velificatio
als erst vom großen Stil des V. Jahrhunderts ausgebildetes Kunst-
mittel unserem Astragal vorausliegt. Die Aurae3 sind Einzel-
1 Siehe auch die gelegentlichen Bemerkungen in der gedankenreichen
Dissertation von Friedr. Matz, Die Naturpersonifikationen in der griechischen
Kunst, Göttingen 1913, S. 16, 81.
2 Siehe A. Feulner, Münchener Jahrb. d. bild. Kunst X, 1916/7, S. 77 ff.
3 Ich kann die von Petersen, Ara Pacis, S. 52, auch von Studniczka,
Zur Ara Pacis, S. 929, gebilligte Erklärung der Seitenfiguren des Tellusreliefs
auf aurae velificantes nicht für gesichert ansehen, obwohl ich nicht gerne die
Bundesgenossenschaft von Gardthausen, Der Altar des Kaiserfriedens, S.15,
beanspruche, der die klare Weiblichkeit des Mädchens auf dem κήτος verkennt