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Saxl, Fritz [Hrsg.]; Nationalbibliothek <Wien> [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1925/26, 2. Abhandlung): Verzeichnis astrologischer und mythologischer illustrierter Handschriften des lateinischen Mittelalters, 2: Die Handschriften der National-Bibliothek in Wien — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38875#0013
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Einleitung.

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kleinern, sondern oft die andere, die Bilder nicht in ganzen, sondern
nur in halben Figuren darzustellen. Er schlägt also ein Verfahren
ein, das künstlerisch gewiß berechtigt ist, und man hat auch bei den
Schilderungen, die er gibt, durchaus nicht das Gefühl zeichnerischer
Halbheit. Aber dieses Verfahren war wissenschaftlich völlig un-
möglich. Denn es sollten ja nicht freie Bilder zu einem stern-
mythologischen Traktat gezeichnet werden, sondern astrothetisch
richtige Figuren. Zum Aquarius heißt es z. B. im Text, er habe
,,in pedibus singulas claras stellas“. Die pedes läßt aber der Zeichner
gar nicht sehen, da er seine Figuren nicht so klein werden lassen
will, wie sie etwa im Cod. 387 waren, der Schreiber ihm aber für
eine große Figur nicht genug Platz gelassen hatte.
Das heißt: die Sternbilderdarstellungen haben hier eine Ge-
staltung erfahren, die ihrem Wesen in der Antike durchaus fremd
ist. Hier sind sie nicht mehr figürliche Umfangsbestimmungen
astronomischer Beobachtungen, sondern traditionelle Bilder, auf
die die künstlerische Phantasie, wenn auch nicht vollkommen ver-
ändernd, so doch weitgehend umformend einwirken darf.
* *
*
Sicherlich war der Illustrator des Cod. 12600 ein besonders
eigenwilliges Talent. Andere Zeichner haben die antiken Vorlagen
noch länger in Buhe nachgeahmt und sich bemüht, sie weniger
radikal zu verändern. In der Provence entstanden noch im 14. Jahr-
hundert zwei illustrierte Handschriften, die die Nationalbibliothek
bewahrt, welche die Enzyklopädie des Ermengaut de Bezier ent-
halten. Darin finden sich mehrfach Darstellungen der antiken
Planetengötter (Taf. III. Abb. 3). Vergleichen wir die Darstellung
des Saturn aus der einen unserer Ermengaut-Handschriften mit der
bald drei Jahrhunderte früher und in benachbarter Gegend entstan-
denen Darstellung desselben Planeten im Beg. 1231 vom Jahre
1056 (Abb. 4), dann tritt uns das Konservative dieser mittelalter-
lichen Linie deutlich vor Augen. Gewiß hat sich stilistisch manches
geändert — Saturn hat auch das antike Attribut des Schleiers
verloren —, aber im wesentlichen bleibt das antike Bild unver-
ändert. Hier in der Provence, wo die spätantike Stadtkultur
selbst im frühen Mittelalter lebendig geblieben war, das Nachwirken
der klassischen Tradition nie unterbrochen wurde, wird auch das
1 Wahrscheinlich aus Kloster Ripoll in den Pyrenäen. Vgl. Röm. Verz.
S. 45.
 
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