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Saxl, Fritz [Hrsg.]; Nationalbibliothek <Wien> [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1925/26, 2. Abhandlung): Verzeichnis astrologischer und mythologischer illustrierter Handschriften des lateinischen Mittelalters, 2: Die Handschriften der National-Bibliothek in Wien — Heidelberg, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.38875#0012
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Saxl, Astrolog. Hss. II. Bd. Wien.

Zwillinge erkennen. Wie schon auf dem Marmorrelief an der Pan-
hagia Gorgopiko1 und dem antiken Globus2 sind sie als die
beiden miteinander verbundenen Brüder dargestellt, sie sind zu-
einander hin bewegt, der eine schreitet nach rechts, der andere neigt
sich mit dem ganzen Körper zu dem Bruder hin. Es entstehen
vielfach Überschneidungen, die Gruppe wird räumlich und malerisch
kompliziert — es ist z. B. recht schwer, sich über die Armhaltung
der Dargestellten klar zu werden —, so entsteht gegenüber dem
antiken Bild, dessen Umrisse astronomisch bestimmt waren, etwas
Neues, fast genrehaft Freies im alten Rahmen.
Ganz frei konnte man allerdings mit den Illustrationen zur
Antike nur dort schalten, wo die Götter überhaupt nicht im
astronomischen, sondern nur im mythologischen Sinne dargestellt
waren, wie im Cod. 177 die Minerva. (Abb. 3.) Das Bild gehört zu
den Eingangsworten des 6. Buches des Martianus Capella, die an
Pallas gerichtet sind: „Virgo armata decens, rerum sapientia, Pal-
las“. Hier bei den rein mythologischen Darstellungen konnte der
Künstler im Anschluß an die Textworte frei erfinden. Es ist
kaum anzunehmen, daß hierbei überhaupt Bildtradition von der
Antike her vorliegt.
Dennoch hat selbst die geringe Veränderungsmöglichkeit der
Sternbilder-Darstellungen langsam zu einer völligen Umstilisierung
derselben geführt, da die Sternbeobachtung nicht mehr auf die
Sternbilddarstellung bestimmend einwirkte. In kaum einer anderen
Handschrift wird diese Tendenz zur Umwandlung der alten Typen
so deutlich wie in unserem Cod. 12600 (Taf. II, Abb. 2). Hier wird
beispielsweise die Geste des einen Zwillingsbruders so verdeutlicht,
daß er dem anderen nach dem Gesicht faßt, nicht bloß nach der
Schulter. Der Schütze ist nicht mehr der ruhig zielende Satyr, er
hebt Kopf und Bein, der Schwanz flattert keck weg, er ist seiner
Tätigkeit ebenso leidenschaftlich hingegeben, wie der schwert-
schwingende Orion oder der in vollem Trab dahinfahrende Fuhr-
mann. Ja selbst der Aquarius vergießt das Wasser aus seiner
Urne mit einem neuen Temperament, die rechte Hand holt fast
pathetisch aus, der Kopf liegt im Nacken, und er blickt empor.
Dabei haben die Bilder dieser Handschrift eine Besonderheit,
die sonst nicht leicht wiederkehren dürfte. Der Miniator fand, daß
der Schreiber ihm zu wenig Platz gelassen habe. Er zog daraus
nicht immer die Konsequenz, den Maßstab der Bilder zu ver-

1 Thiele, a. a. O., S. 59. 2 Ebenda Taf. III.
 
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